Rheinquerung
Was für ein Tag! Sonne satt, asphaltierte Straßen, wenig Höhe, Rückenwind! Der Dank gilt den guten Straßen und dem Wind: ich bin noch nie so entspannt die ersten 50 km gefahren. Auch komoot hat einen guten Job gemacht. Erste Pause am Kanal. Es ist der 11.5. (ich bin spät dran mit Schreiben 🙈) Vor exakt einem halben Jahr bin ich losgefahren.
Ich nähere mich langsam dem Rhein. Im Osten tauchen die Berge des Schwarzwalds auf. Ich grüße fast jeden entgegen kommenden Radfahrer genau so vorurteilsfei und frohen Herzens wie ich das seit Biarritz täglich mache. Auffällig ist heute, dass die Leute im Verlauf des Tages immer seltener zurück grüßen. Von dutzenden Leuten haben zwei mal zwei Menschen meinen Gruß erwidert. Ansonsten werde ich nur mit viel Glück eines Blickes gewürdigt, der Regelfall ist aber ein starrer, ausdrucksloser Blick geradeaus. So als ob ich nicht da wäre - und nichts gesagt hätte. Ich überlege kurz, ob ich schon jetzt keinen Bock mehr auf Deutschland haben soll, bevor ich überhaupt zurück bin. Ich entscheide mich dagegen.
Kurz drauf biegt ein junger Typ auf seinem Rad über den Bürgersteig in meine Richtung auf die linke Straßenseite. Um ein Haar wären wir frontal kollidiert. Das wär's noch gewesen: auf den letzten Metern ein Unfall nach sechs Monaten unfallfreier Fahrt - auf teils abenteuerlichen Pisten.
Dann komme ich endlich ans Rheinufer.
Die Fähre ist ohne Nennung von Gründen außer Betrieb. Gut, ich bin jetzt ein paar tausend Kilometer hierher gefahren, dann mach ich gern nochmal einen Umweg von knapp 20 km zur nächsten Brücke. Ich weiche nach Norden, Richtung Karlsruhe aus.
Auf dem Weg dorthin überfahre ich linksrheinisch die Grenze in die Pfalz. Puff, wieder zu Hause. Wahnsinn! Wie letztes Jahr freue ich mich die altvertrauten, gelben Straßenschilder wieder zu sehen. Drei Minuten später finde ich (endlich!) einen Supermarkt. Ich gehe einkaufen. Zur Feier des Tages gibt's ein Magnum Mandel 😅 Und seit Wochen finde ich zum ersten Mal Quark! Ganz hundsgewöhnlichen Quark.
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Quark - wow! 🤣 |
In der Sonne sitzen ist keine Option. Nach einer kurzen Pause auf dem Parkplatz geht's weiter. Ich möchte, da ich nun bereits über 100 km auf dem Tacho hab, eine längere, gemütliche Pause im Schatten machen.
Also runter vom Parkplatz, Kreisverkehr queren und weiter geradeaus. Da ich aus Navigationsgründen auf mein Handy schaue, verpasse ich die Einfahrt auf den Radweg. Die nächste Option ist aber schon in Sichtweite. Ich betone an der Stelle nochmal, dass ich vor etwa 20 Minuten über die Grenze gefahren bin. Dann überholt mich ein Auto, aus dem mich doch tatsächlich eine Frau anpampt, nebenan sei ein Radweg. Ich denke: "das ist jetzt gerade nicht wirklich passiert." und liege falsch damit. Vor meinem inneren Auge spielt sich kurz eine Szene ab, in der ich sie auf's übelste beschimpfe und ihr an der nächsten Ampel ins Gesicht spucke 🤣 Tatsächlich fahre ich aber einfach friedlich weiter. Wir Deutschen, was? Wenn wir den Mund aufmachen sollten (zum Beispiel wenn wir gegrüßt werden), schweigen wir und wenn wir die Fresse halten sollten, reißen wir sie auf. Ich hab wirklich gemischte Gefühle bei der Frage inwieweit ich mich dieser Gruppe zugehörig fühlen möchte.
Knapp eindreiviertel Stunden nach dem ersten Versuch überfahre ich nun wirklich den Rhein. Es ist einfach nur eine Brücke und heute doch sehr bedeutsam. Am anderen Ufer angekommen, gebe ich einen Schrei von Freude, Dankbarkeit, Stolz und Erleichterung von mir, auf den trotz der immensen Mittagshitze eine massive Ganzkörpergänsehaut folgt. Ich bin am 22.3. auf dem Festland in Südspanien angekommen. Jetzt bin ich fast in Karlsruhe. Und dazwischen ist "ein bisschen was" passiert.
In der Weststadt finde ich eine gemütliche Bank im schattigen Grünen an der Alb (kleiner Fluss). Ich zieh mir die Badehose an und leg mich ins Wasser. Es zischt und blubbert wieder beim Eintauchen 😅 Herr-lich! Das hab ich wirklich gebraucht!
Danach sitz ich insgesamt (wird später klar) sicher gut drei Stunden auf der Bank, trockne, esse und tippe diese Zeilen. Von den mehreren hundert Menschen, die zu Fuß oder auf dem Rad an mir vorbei kommen, spricht niemand mit mir. Doch! Einer frägt, wie er zum Hbf Karlsruhe kommt. Das war's dann aber auch. Eigenartig. Was ist hier so anders als wenige hundert Kilometer westlich von hier, wo ich vor lauter Erzählen kaum zum essen gekommen bin? (ich übertreibe etwas) ☺️
Kein "Guten Tag", kein "Guten Appetit", kein "Gute Reise". Ich seh auch niemanden (zurück) lächeln. Wenn ich überhaupt nichts über die Welt wüsste und von mir aus als Außerirdischer auf der Bank säße, würde ich vermutlich sowas denken wie "die Menschen fahren hier schicke Fahrräder, aber es scheint ihnen schlecht zu gehen oder etwas auf's Gemüt zu schlagen". Hab das dann irgendwann fast schon provoziert: Menschen einfach freundlich anlächeln, als würde man einen alten Freund wiedererkennen. Hat nicht funktioniert. In der Erwartung gleich eine weitere versteinerte Miene zu sehen, muss ich selbst schon anfangen zu lachen. Ich möchte das jetzt gar nicht bewerten, aber das sind ja keine Tendenzen in die eine oder andere Richtung, es ist wie schwarz und weiß! Diesen deutlichen Kontrast in der kurzen räumlichen und zeitlichen Distanz zu erleben ist einfach, ich sage mal: bemerkenswert. Ich weigere mich aber (noch) die zwischenzeitlich überfahrene Landesgrenze als Ursache zu akzeptieren.
...vielleicht zieh ich mich mal wieder an, vielleicht liegt's auch daran 😅
Nochmal gut eine Stunde später, angemessen gekleidet: nein, hat auch nicht geholfen. Genug experimentiert für heute 🙂 Ich pack also meine Sachen wieder zusammen und fahre in den Süden Ettlingens, wo ich nochmal eine letzte Zeltnacht zelebrieren will. Unterwegs gehe ich einkaufen und dann bleibt mir der Mund offen stehen: ich komme an einem Spielplatz mit großer Rutsche und Labyrinth am Rande des Horbachparks (kennt den zufällig jemand? Den hab ich geLIEBT als Kind!) vorbei. Hier war ich sehr oft und gerne - zuletzt vermutlich als Grundschüler und seither nie mehr. Ich hab immer mal wieder mit meiner älteren Schwester über diesen Ort geredet. Jetzt fahr ich auf der Suche nach einem Schlafplatz zufällig hier vorbei!
Ich parke das Rad. Zwei Jungs fragen mich (Kinder "trauen" sich noch ungezwungen mit Fremden zu sprechen 🤗), ob ich auch rutschen werde. Ich behaupte im Spaß mich nicht zu trauen. Sie lachen mich zu Recht aus. Dann rutsch ich aber doch, zum ersten Mal seit gut 30 Jahren - und krache am Ende der Rutsche prompt ungelenk auf den Hintern 😂
Dann geht's weiter in Richtung Felder. Ich schiebe mein Rad an den Rand eines Waldstücks und schlage das Zelt auf. Ich gebe mir keine große Mühe nicht gesehen zu werden. Heute glaube ich dran, dass auch in der letzten Nacht - wie das letzte halbe Jahr auch - nichts passieren wird 😅
Irgendwann hör ich einen Mann erzürnt schreien: "Komm jetzt her, Du!", sehe aber niemanden. Ok, was ist hier los in der Wiese? Ich warte ab. Dann taucht ein Schäfer auf, der seine Tiere von A nach B bewegen will. Sein Wutausbruch galt wohl einem sturen Schaf. Schlussendlich ist er erfolgreich und fängt an, den Elektrozaun umzustecken. Er ist vielleicht 20 m entfernt und geht einfach seiner Arbeit nach. Etwas später taucht ein anderer Mann auf, läuft planlos vor und zurück und schaut in meine Richtung. Wollte vermutlich "nach dem Rechten sehen". Ich esse eine größere Menge und schlafe dann gemütlich zu dem immer seltener hörbaren Klingen der Schafsglocken ein.
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