Schafe

Gestern Abend war es (abgesehen von den Schafen) wieder sehr still. Aus ewiger Entfernung habe ich vereinzelt ein sich näherndes Auto gehört. Es kam aber ewig nicht. Es wird ganz langsam lauter. Ich warte und lausche. Es zieht sich. Ich fange an Zähne zu putzen. Das Geräusch der putzenden Borsten übertönt das Auto. Sehen tu ich aber auch nichts. Ich will gerade die Zahnseide um den Finger wickeln, da erscheint das Auto endlich vor mir.

 

Landschaftlich war das heute eine sehr schöne Etappe. Endloses Grün! Ich kam mir teils vor wie im Urwald.


Bin wieder viel in Wellen gefahren, teils sehr steil bergab/bergauf. Am Ende des Tages sind es auch wieder 1,3 km Höhe. Kein Wunder tun mir die Knochen weh!

Doch von vorne: morgens nach dem Start ist meine erste Aufgabe: 18 km der Straße folgen. Das bekomm ich hin! Der Asphalt ist grenzwertig, ich such ständig die beste Linie. Die Sonne scheint und wärmt den Rücken. Der Wind bläst ordentlich von Süden, ich fahre leicht nach links gelehnt. Ich fahre in ständigen Wellen auf und ab.

Eine lange Brücke führt mich über den La-Serena-Stausee, einen der größten in Westeuropa. Beziehungsweise überfahre ich die Stelle, wo er auf der Karte eingezeichnet ist. In Spanien ist es scheinbar eher der Regelfall als die Ausnahme, dass Brücken über trockenes Gebiet führen.


Am frühen Nachmittag kommt der erwartete Regen. Ich halte Ausschau nach irgendetwas, das man Unterstand nennen könnte. Einen überdachten Parkplatz, eine Unterführung, einen großen Baum oder eine Bushaltestelle. Nichts dergleichen. Die Mittagspause entfällt. Ich fahre kilometerlang durch die Natur, vorbei an nichts außer den drei "S": Schafe, Schilder, Stacheldrahtzaun.
Ich glaube heute habe ich mindestens 12000 Schafe gesehen 😊. Mit den sattgrünen Wiesen und den schroffen Felsformationen dazwischen musste ich an Irland denken. Das Wetter passt ja auch ganz gut.
Graugrüne Flechten wachsen auf dem Seitenstreifen. Aus den Gräsern am Straßenrand scheuche ich Unmengen Vögel auf, die mit hektischem Flügelschlag das Weite suchen. Ich suche noch immer nach einer Art Rastplatz und halte mich mit Äpfeln und Riegeln über Wasser.

Ich komme an eine T-Kreuzung, sprich: ich kann links oder rechts wählen. Komoot schlägt geradeaus vor 🤣 Dort ist leicht versetzt noch eine kleinere Nebenstraße. Es passt zwar nicht zu meiner neuen Don't-Listen-To-Komoot-Policy, es scheint aber die kürzeste Strecke zu sein - und immerhin eine asphaltierte. Also weiter geradeaus. Wenig überrascht steh ich ca. 2 km später vor einem verschlossenen Tor, das zusammen mit den angrenzenden Zäunen ein Durchkommen unmöglich macht. Ich dreh also wieder um und fahre den Umweg.

Es geht wieder steil bergauf. Es hat sich zwischenzeitlich richtig eingeregnet. Der Wind rupft an meinem Poncho. Ich fahre die kürzeste Übersetzung.


Es wird etwas heller und ich komme an einem Dorf vorbei. Ich nutze die paar Sonnenstrahlen für die dringend notwendige Pause. Die Leute glotzen wie Autos! Zurück auf dem Rad setzt der Regen wieder ein. Super timing 😃
Ich sehe mich nach überdachten Schlafgelegenheiten um. Hier ist jedes Gebäude eingezäunt. Ich versuche erfolglos auf zwei Höfen jemanden anzutreffen.
In einem weiteren Dorf sehe ich ein vielversprechendes Dach: der Außenbereich eines Restaurants - abgeriegelt. Ein paar Meter weiter komme ich an einem Baustoffhof vorbei, eine Art spanischer Hornbach. Mit schmerzenden Beinen versuche ich mein Glück. Drin drei Angestellte, ein Kunde. Ich versuche ihnen mit Händen und Füßen klarzumachen, was ich möchte. Es kommt zu einer Good-Cop/Bad-Cop-Situation. Der Bad Cop sagt "Hotel!" und schaut grimmig. Er diskutiert mit dem Good Cop, letzterer setzt sich durch: "one moment" sagt er zu mir und verschwindet. Kurz drauf erscheint er wieder und weist mich an, ihm zu folgen. Vor der Verkaufshalle ist ein gekiester, überdachter Parkplatz. Er zeigt mir eine Stelle, ich danke ihm. Er zeigt mir noch einen Wasserhahn gegenüber und geht wieder rein.
Ich parke um und packe mein Zeug aus. Plötzlich steht er wieder da und bittet mich erneut ihm zu folgen. Er führt mich zu einem großen, überdachten Lager hinter dem Hauptgebäude. Ich nicke, deute auf eine Stelle zwischen aufgerollten Leerrohren und halte den Daumen hoch. Er bietet mir noch zwei große Styroporplatten als Unterlage an. Sehr nett!
Ich ziehe um, stelle mein Zelt auf, setz mich in trockenen Klamotten rein und schreibe diesen Text. Um 18 Uhr kommt der Good Cop mit einem weiteren Kollegen im Schlepptau: "Cafe?" Ich strahle und folge ihnen. Drin steht auch schon der Bad Cop (Miguel) vor dem Kaffeeautomaten. Sein Counterpart (Alberto) lässt mir einen Kaffee raus. Pedro zeigt mir eine Kiste mit Mandarinen und hält mir welche hin. Ich bedanke mich und will gerade danach greifen, da schmeißt er sie zurück in die Kiste und verschwindet. Der Kaffee ist zwischenzeitlich fertig. Pedro kommt zurück, drückt mir eine leere Tüte in die Hand und ermutigt mich tüchtig zuzugreifen. Mach ich!

Dann stehen wir zu viert in einer großen Halle und ich versuche mit heißem Kaffee in der Hand von meiner Reise zu erzählen. Miguel lauscht und frägt ganz zum Schluss mit gerunzelter Stirn und zusammengekniffenen Augen, leicht kopfschüttelnd: "why?!"
Auch der Gabelstaplerfahrer ist dazugestoßen, der etwas französisch spricht. Später kommt noch der Geschäftsführer und erzählt mir anhand der an der Wand hängenden Karte von der Region. Ich versuche ihm mitzuteilen, wie sehr mir meine Etappe in seiner Region heute gefallen hat.

Kommentare

  1. Wahnsinns Story Alter. Andi hatte die Idee dass das hier nen bestseller wird! Ich freu mich auf morgen.. Kurze geile Serie für jeden Abend auf der Couch und alle sind informiert und jeder fragt: why? Aber geil... Wünsche dir Luft und Kraft bei 200W mittlerer Leistung. Peace

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  2. Ich war schon ganz gespannt ob der Seenlandschaft, die ich als couch potato schon mal via maps gecheckt hab.
    Welch' surreales Bild:-) Komplette Belegschaft vom Spanienhornbach und 1 Patrick erklärt in einer Lagerhalle das "why" :-))
    Good cop Alberto for president.

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  3. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  4. Yippie Yaja Yippie Yippie Yeaa, wenns gut werden soll 👨🏼‍🔧.

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  5. Ein Hoch auf Albert und deinen spannenden Bericht. 👍😎

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