Raps
Morgens seh ich den ersten Menschen vorbeikommen, einen Radfahrer. Bald drauf parken ein paar Autos auf dem Parkplatz vor mir, Spaziergänger.
Frühstück am Tisch und mit Handschuhen losgefahren. Die Wolken verstecken die Sonne. Es geht weiter auf dem gekiesten Radweg. Ich muss unzählige, verwaiste Querstraßen überfahren. Davor und dahinter ist immer ne Schranke, die umfahren werden muss, um wie ich vermute, den speed rauszunehmen. Die Durchfahrt neben der Schranke ist (für mich) aber so eng, dass ich im Anschluss aus Schrittgeschwindigkeit wieder beschleunigen muss - und das immer zwei Mal alle paar Minuten. Der Wind in meinem Gesicht reicht mir eigentlich als Hindernis. Er bläst den ganzen Tag aus Nordost. Zudem ist die Gegend sehr hügelig, sodass ich heute sogar in Frankreich auf gut 1000 m Höhe komme.
Eine sehr landwirtschaftlich geprägte Gegend. Wahnsinn, überall Wiesen und Felder so weit das Auge reicht. Ich fahre an unzähligen Kuhherden vorbei. Ich weiß nicht, ob ich's schon Mal erwähnt hab. Wenn ich vom vielen kurbeln schon deliriere und glaube den Verstand zu verlieren, fange ich an mich mit den Kühen zu unterhalten 🙂 Eine schien besonders aufmerksam zuzuhören. Ich hab angehalten und mich an den Zaun gestellt. Sie kam gleich angelaufen, also hab ich sie gefüttert.
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Sie heißt Zenzi 😍 |
Am Nachmittag finde ich in dieser sehr ländlichen Gegend den ersten Supermarkt in einem Dorf. Pünktlich dazu kommt die Sonne raus. Ich setz mich auf den Bordstein und tanke auf.
Danach geht's noch ein Stückchen weiter bis ich irgendwann erschöpft auf einen Feldweg abbiege. Er endet nach 50 m vor einer leeren Weide. Links am Wegesrand ist etwas Platz im Windschatten, wo ich mein Zelt aufbauen kann. Der Wind hat's mir heut richtig gegeben.
Nächster Tag, ich lass es ruhig angehen. Gemütliches, reichliches Frühstück, alles in Ruhe zusammenpacken und weiter geht's. Heute ist Rapsfeldtag. Für jemanden wie mich, der gelb mag, ist das etwas gutes.
Kalt ist es, besonders der Wind, der wieder aus NO kommt. Achtung, eklig: Meine Haare sind so fettig, dass sie sich im Wind nasskalt anfühlen 😂 Ich zieh mir was langärmeliges drüber.
Es läuft aber trotz großem Luftwiderstand besser als gestern. Nach 45 km mache ich die erste Pause, einkaufen. Es ist bereits nach zwei und die Sonne kommt zum ersten Mal etwas zwischen den Wolken vor. Ich nutze die Gelegenheit und wasche in der benachbarten self-Service Waschanlage mein Fahrrad. Besonders die Kette hat die letzten Tage auf dem staubigen Kiesweg gelitten und ist ganz braun. Das wird den Kettenspringern vermutlich nicht gerade zuträglich sein. Zum Trocknen kommt das Rad in die Sonne, anschließend wird geölt. Danach läuft es gleich deutlich besser. Ich bilde mir tatsächlich ein spürbar leichter voranzukommen.
Später gehe ich nochmal einkaufen. Die Auswahl im letzten, verwaisten Supermarkt war bescheiden. Ich such seit Spanien verzweifelt Erdnussbutter. Lara hat mich voll auf die Erdnussbutterspur gebracht. Gläserweise ging das weg! Aber hier gibt's nirgends welche, nur vermutlich unfassbar zuckrige Spekulatiuscreme.
Ich möchte gerade eine Mitarbeiterin fragen, ob ich aus der bereits aufgerissenen Packung Toilettenpapier einzelne Rollen kaufen kann. Ich stelle mir vor, dass sie mir unter "diverses" einfach irgendetwas berechnen (mir geht's schon gar nicht mehr um die Vermeidung des Kaufs einer Großpackung. Mittlerweile ist das ein soziologisches Projekt 🤗) Eine Dame, die etwas älter aussieht, als sie vermutlich ist, versperrt mir den Weg zur Mitarbeiterin. Sie textet mich zu. Ich versuche ihr freundlich zu erklären, dass ich gerade dabei war, die junge Dame hinter ihr etwas zu fragen. Sie textet unbehelligt weiter. Die Mitarbeiterin im Hintergrund verschwindet. Dann frägt die Lady vor mir plötzlich wo ich heut Nacht schlafen werde. In meinem Zelt. Sie lädt mich zu sich ein. Duschen, Essen, Schlafen. "Pas de souci" (keine Sorgen). Geld wolle sie auch keins. Mir schwant, dass sie zwar kein Geld, aber anstatt dessen explizite Dienstleistungen von mir erwartet. Da sie leider überhaupt nicht mein Typ ist, lehne ich dankend ab 😅 Sie frägt nach den Gründen. Zum Schluss muss ich schon ein bisschen argumentieren, bis sie mein "nein" akzeptiert. Dann läuft sie an mir vorbei, sagt: ok, ca marche, beau cul!" (sinngemäß: ok, alles klar, Knackarsch!) und gibt mir einen Klapps auf den Hintern 😳 Plötzlich ist auch der letzte Zweifel bzgl. der Dienstleistungen beseitigt. Ein Glück hab ich den Braten gleich gerochen, sonst wäre ich womöglich morgen aufgewacht wie Jim in American Pie 😂 Wer erinnert sich?
Da die Mitarbeiterin nicht wieder aufgetaucht ist, stell ich einem ihrer Kollegen meine Frage. Er verneint freundlich.
Beim Verlassen des Ladens entdecke ich im "Foyer" eine Steckdose. Ich stöpsel Handy und powerbank an, setze mich auf eine Bank, esse und scanne den Inhalt der an mir vorbeiziehenden Einkaufswagen nach Toilettenpapier 😅 Die Sonne kommt raus. Auf einem Display gegenüber wird alle paar Minuten angezeigt wie viele kWh Strom die Solaranlage auf dem Dach heute schon produziert hat und wie viel Emissionen angeblich dadurch eingespart wurden. Unseriöserweise verändern sich die Zahlen in der Stunde, in der ich dort sitze nie. Ist bestimmt ne Powerpoint, die genau so seit Wochen läuft 🤣 Das würde vermutlich tatsächlich nicht auffallen!
Dann pack ich wieder meine Sachen aufs Fahrrad. Ein junges Paar, womöglich mit nordafrikanischen Wurzeln, verlässt den Laden. Ihr Einkaufswagen entspricht den Suchkriterien. Ich spreche sie an, erzähle kurz von meinem Hintergrund und frage sie, ob ich ein, zwei Rollen kaufen könne. Sie stimmen ohne eine Sekunde zu überlegen zu. Er reißt beherzt die Packung auf und angelt, eins, zwei, drei Rollen raus. Sie winkt mit dem Zeigefinger, es komme überhaupt nicht in Frage, dass ich dafür bezahle. Er drückt mir die Rollen in die Hand "c'est un cadeau" und strahlt. Dann frägt er mit dem Blick auf ihre Einkäufe, ob ich sonst noch etwas brauche 🤗 Auf meinen Dank antwortet er: "non, c'est normal!"
Projekt erfolgreich abgeschlossen: Menschen sind gut.
Jetzt muss jeder Handgriff sitzen. Hektisch pack ich mein Rad fertig und steuere zügig das nächste Gebüsch an.
...
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Ja, der Regen ist auf dem Weg zu mir |
Nein, Spaß! 😅
Tatsächlich durchfahre ich in aller Ruhe Dreux, es fängt an zu regnen. Nach ein paar km (dieses Mal von google maps) werde ich auf einen sehr holprigen Feldweg geführt. Tiefe Spurrinnen und Traktorreifenspuren im hart gewordenen Schlamm. Trotz der frisch geölten Kette geht es jetzt sehr mühsam voran. Neben mir die Landstraße, auf der die Autos dahingleiten. Zwar sehr nah, aber durch ein dazwischen liegendes Feld unerreichbar. Ich rüttle und fluche. Nach einem Knick um ein anderes Feld taucht ein freier Platz zwischen ein paar Bäumen auf, der wohl auch als Erddeponie genutzt wird. Da die Stimmung eh grad gedämpft ist, entschließe ich mich spontan Feierabend zu machen.
Medientipp: Laras Video mit schönen Impressionen von ihrer/unserer Portugal Episode 🙂
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