Distrikt Faro und ein Cheerio

Schlussendlich hat es "nur" 48 Std geregnet. Ebensolang hat meine Wäsche zum Trocknen gebraucht. Die Unterkunft hatte ich bereits für drei Nächte gebucht, also hatte ich noch Gelegenheit die Gegend ohne Regen zu erkunden. Kleines Fischerdorf, viele kleine Läden, viele leere Ferienhäuser und geschlossene Cafés. Hier und da Touristen, meist golden-ager. Am Kiosk finde nach langer Zeit mal wieder ein deutsches Nachrichtenmagazin. Ich kaufe es und schmökere stundenlang in der Sonne, die heute zeitweilig wieder scheint.

 


Am nächsten Morgen geht's weiter. Ich verabschiede mich von meiner sehr netten Gastgeberin und fahre weiter nach Westen. Das Wetter ist leider nicht richtig gut. Die Deutschen erleben den sonnenreichsten März ever, die iberische Halbinsel ist vorübergehend landunter. Während ich in Südportugal bin, ist es im Nordschwarzwald wärmer als hier 😅 Aber immerhin habe ich Rückenwind. Es geht durch schöne Landschaften, vorbei an tollen Stränden und einladenden Schlafplätzen. Ich könnte mein Zelt gefühlt fast überall hinstellen.




Zwei Tage später, immernoch bedeckt und kühl, habe ich mal wieder einen Platten. Beim Flicken kommt die Sonne kurz schüchtern zum Vorschein, während der Wind meine Sachen um- oder wegbläst.

 







Bei Sagres finde ich einen fantastischen Schlafplatz auf dem Holzdeck einer geschlossenen Strandbar. Ich schlafe mit dem Rauschen der Wellen ein...


...und wache um 0300 durch eine Gruppe feiernder Jugendlicher unsanft auf. Laute Musik, wildes Geschrei. Ich kann nicht erkennen, ob es zehn oder 20 Menschen sind. Ein paar Jungs springen neben meinem Zelt auf den Holzdielen rum, vermutlich um mich zu wecken. Nicht zuletzt weil ich nicht weiß, wieviele es sind bzw. ob Alkohol im Spiel ist, bleib ich erstmal passiv. Es bleibt aber bei Gegröle und Gestampfe. Nach zwei Stunden ziehen sie wieder ab.
Gerädert frühstücke ich auf "meinem" Deck. Die ersten Surfer sind bereits im Wasser. Ich schiebe mein Rad den Berg hoch und fahr weiter in den äußersten Südwesten. 


Nach wenigen Minuten kommt mir eine Dame auf dem Rad entgegen. Wir kommen ins Gespräch. Lara aus Stuttgart, war wie ich auch auf Teneriffa. Irgendwann dämmert's mir. Moment mal: Lara? Teneriffa? Vor ein paar Monaten hatte mich Andi (plantyreasons.de) drauf hingewiesen, dass eine Lara, auf deren instagram Kanal ("Giant_Cheerio") er durch einen Aufkleber in Stuttgart aufmerksam geworden ist, auf Teneriffa unterwegs sei. Den Aufkleber hatte er auch nur durch eine Aneinanderreihung von Zufällen entdeckt. 

Und hier trifft man sich nun also. Nach wenigen Minuten zieh ich bereits innerlich meinen Hut vor ihr: toller spirit, alleine unterwegs seit August, lange, schnelle Strecken. Anders als ich war sie nicht schon immer Fahrradenthusiast, hat konditionell und technisch bei fast null angefangen und ist jetzt halt hier. Chapeau!
Wir tauschen Nummern und da wir beide Richtung Lissabon wollen verabreden wir uns für später. Sie fährt weiter nach Norden, ich fahr noch die restlichen fünf Kilometer bis zum letzten Zipfel Kontinentaleuropas. Am Nachmittag, nachdem ich richtig kämpfen musste, hole ich sie wieder ein: In einem Dorf ruft plötzlich jemand meinen Namen. Sie sitzt am Straßenrand in einem Cafe. Da ich ihre Nachrichten noch nicht gelesen hatte, war es gut, dass sie mich gesehen hat, sonst wär ich an ihr vorbeigezischt in dem Versuch sie einzuholen. Es stellt sich schnell raus, dass wir vieles sehr ähnlich machen und denken: wir teilen unseren "Hass" für Gegenwind und minderwertige Radwege, die durch unzählige Bürgersteige unterbrochen werden und übertrieben großzügig Kreisverkehre umfahren. Sie meint das sei ok für Leute, die von einem Kaff zum anderen wollen. Sie aber will Strecke machen und "ballern"! Amen, Schwester! 🤗 Wir halten beide den unreflektierten Umgang mit Alkohol in unserem Heimatland für problematisch. Sie erzählt, sie selbst habe hier ein Problem gehabt, es als solches erkannt und überwunden. Was bewundere ich solche Menschen, die sich von Tag eins daran machen, jede Mauer um sich herum einzureißen! Kein Blenden oder Storytelling (sie könnte sich auf ihre 24000 follower durchaus was einbilden!), sondern die Hände mit den Handflächen nach oben auf den Tisch legen: sieh her, das ist mein wahres Ich - take it or leave it. Diese Offenheit bedeutet sich verletzlich zu machen und erfordert viel Mut. Ist aber auch gleichzeitig der Grundstein und Voraussetzung für jede tiefe Beziehung. Schon wieder ziehe ich meinen Hut.
 

Am Abend schlagen wir unsere Zelte auf einer Wiese auf, essen gemeinsam und tauschen in einem sehr guten Gespräch Meinungen und Erfahrungen aus. Ich freu mich immer wieder wenn ich ihr in unterschiedlichsten Punkten uneingeschränkt zustimmen kann.
Sie hat in ihren jungen Jahren für sich erkannt, dass man kein gescriptetes Leben leben muss, dass man nicht gesellschaftskonform sein muss, um glücklich zu sein. Auch wenn ihr der Ausstieg nicht leicht fiel, ist sie nun froh in dem, was sie tut, ihren Sinn gefunden zu haben. In der Folge kam der intrinsische Antrieb sich reinzuhängen und hart an ihrem Projekt zu arbeiten. Und viel Arbeit ist es definitiv! Während ihre follower meist ein easy Fahrradleben wahrnehmen, ist sie hinter den Kulissen ständig am powern: organisieren, telefonieren, Nachrichten schreiben/beantworten, filmen, konvertieren, schneiden, posten. Mir fällt die Kinnlade runter, als ich erfahre, wie viel Arbeit in einem Acht-Minuten-Video steckt.



Also liebe instagram Nutzer. Wenn ihr mir einen Gefallen tun wollt, dann folgt ihr bitte, erzählt euren Freunden davon und unterstützt sie damit. Ich kenne sie wirklich noch nicht lange und bin bereits jetzt überzeugt, dass sie zu den Menschen gehört, die es verdient hätten eines Tages davon leben zu können. Ich wünsche es ihr sehr!

Der nächste Morgen. Kurzes Frühstück, Zeug zusammengepackt, weiter geht's. Wir sind ca. 190 km südlich von Lissabon. Der Tag beginnt mit einem zünftigen Anstieg, viel früher als vorhergesagt setzt ebenso zünftiger Gegenwind ein. Erste Kaffeepause nach 20 km. Wir laden unsere Powerbanks und trinken Kaffee. Für 2,8€ bekommt man hier nicht einen, sondern vier!
Weiter gegen den Wind. Sie hat eine "bass-machine" am Fahrrad und lässt die sehr anstrengende Etappe mit guter Musik leichter von der Hand bzw. den Beinen gehen. Der Wind lässt wieder anders als vorhergesagt am Nachmittag nicht nach, sondern bläst konstant von vorne, sodass wir bei einem bescheidenen Schnitt von gut 15 km/h (die sich wie 27 km/h anfühlen) stundenlang Wind mit einer Relativgeschwindigkeit von bis zu 70 km/h im Gesicht haben. Auch sind wir uns einig: lieber stundelnang bergauf als stundenlang Gegenwind.

 

 
  


Nach 60 km erreichen wir erschöpft ein Dorf, wo wir ein radelndes, französisches Paar treffen. Auch auf dem Weg nach Norden. Zum ersten Mal seh ich einen Radler, ihn, Tom, der wie ich vorne rote und hinten gelbe Taschen hat ☺️ Wir tauschen Nummern und suchen/finden einen kleinen Supermarkt, sehr einfaches Sortiment. Nur die booze-Abteilung macht ein Drittel der Ladenfläche aus 😳 

 


Die Einkaufsmöglichkeiten sind in diesem Dorf beschränkt, was der Ladeninhaber offensichtlich zu nutzen weiß: für einen billo-Camembert und Schwarzbrot werden 8€ aufgerufen. Zum einordnen: dafür hätten wir vorhin 13 Kaffee bekommen! 🤣 Ich belasse es beim Camembert und einem Brot, das mir beim Kauf keine Tränen in die Augen treibt. Hungrig wie wir sind, picknicken wir direkt auf dem Bordstein vor dem Laden.

 


Gesättigt geht's weiter zur Schlafplatzsuche. Wir finden bloß gut einen direkt am Ortsausgang. Ein sehr hübsches Fleckchen, nicht weit vom Meer, eine wind- und blickgeschützte Lichtung in einem portugiesischem "Dschungel".
Wir gehen früh schlafen. Morgen erwartet uns ein weiterer Gegenwindtag.

 


 

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