Antritt Rückreise
Irgendwann kann ich mich doch losreißen und mach mich langsam auf den Weg Richtung Santa Cruz, wo die Fähre nach Huelva ablegen wird. Kurz vor meinem Etappenziel, El Médano, bieg ich spontan zu einer Tanke ab, um meinen Luftdruck aufzufrischen. Im selben Augenblick fährt ein Wagen auf das Tankstellengelände, auf dessen Beifahrersitz ein Typ mit bekanntem Gesicht sitzt. Mein Gehirn nennt mir zwei Begriffe: "Flo, Fähre". Es ist der Florian, ein Franke, den ich letztes Jahr auf der Fähre Richtung Festland kennen gelernt habe. Offenbar hat es ihn auch wieder in den Süden gezogen. Schöne Überraschung!
Ein paar Kilometer weiter gehe ich einkaufen, schließe mein Rad ab, während ein weiterer Typ sein Rad neben mir parkt. Ich schau rüber zu ihm, mein Gehirn: "Hostel Los Amigos", der Name war mir nicht mehr geläufig. Es ist Graham, ein Brite, der auch wieder hier ist und genau wie im Hostel (er war ständig am reparieren) wieder technische Schwierigkeiten mit seinem Rad hat. Aktuell ist es das Tretlager. Es ist schön zu erleben, wie die Insel langsam zum Dorf wird 😄
Ich ziehe auf meinem Stamm-Schlafplatz ein und verbringe den Folgetag am Strand. Morgens seh ich wie der Teide beschneit ist. Ich hatte ja schon erwähnt, dass Schnee unterhalb des Gipfels eher die Ausnahme ist. Dieses Mal ist der Teide nicht nur um die Spitze weiß, sondern großflächig bis in die relativen Niederungen.
Der Wetterbericht sagt "schwacher Wind aus Ost", tatsächlich stürmt es ohne Gleichen! Es gibt weder an mir, noch an meinem "gear" eine Stelle, die nicht voller Sand ist. Selbst in den zusammengerollten Lebensmitteltüten, die sich in einer Stofftasche befinden, ist Sand. Wenn ich ausreichend Steine auf meine Strandmatte gelegt habe, um sie am wegfliegen zu hindern, bleibt kein Platz mehr, um mich draufzulegen 😅 Der Badetag ist ein anstrengender, ich geh genau zwei Mal ins Wasser.
Was man bei dem Wind natürlich nicht merkt, ist, wie die Sonne brennt. Täglich liegen die UV Indices bei >7. An windärmeren Tagen kann ich förmlich spüren, wie meine Haut ionisiert wird. Ich hab jetzt zwar schon gut drei Monate "Sonnenerfahrung", trotzdem creme ich mich regelmäßig ein und suche wenn möglich den Schatten auf. Schon am Vormittag fühlt es sich an wie zu nah an einem großen Lagerfeuer zu stehen. Nur dass man keinen Schritt zurück gehen kann, um die Bestrahlungsstärke zu reduzieren. Die UV-Skala, die ursprünglich bis 10 ging, wurde nachträglich nach oben erweitert, um die Bedingungen in den Tropen abbilden zu können. Nächste Woche steigt der hiesige Wert auf 11 - im März! Ich kann mir nicht ausmalen, wie man hier im Juni überlebt. Die Wetterextreme motivieren mich doch zunehmend wieder nach Norden zu fahren. Mal abgesehen von der intensiven Sonnenstrahlung war das ein ungewöhnlicher "teneriffischer" Winter: immer wieder Regen, Calima, tiefe Temperaturen, massig Schnee. Ich spreche mit Menschen meines Alters, die hier geboren sind und die sagen, so etwas kennen sie nicht. Ich will nicht behaupten, dass es zwingend kausal mit dem Klimawandel zusammenhängt, aber die Häufung der Extreme in allen Teilen der Erde halte ich schon für arg auffällig. Man muss die Augen schon fest verschließen, um hier keinen Trend zu sehen. Auch die eigentlich in 50000 Jahren fällige Eiszeit fällt wegen unseres aktuellen Verhaltens (am Ast, auf dem wir sitzen, mit großer Verve sägen) womöglich aus. Die Auswirkungen unserer aktuellen, menschheitsgeschichtlich extrem jungen Handlungen reichen wahrscheinlich zehntausende Jahre in die Zukunft. "Elefant im Porzellanladen" wäre wirklich noch schmeichelhaft. Selbst wenn wir nicht final an den Folgen der Klimakatastrophe zu Grunde gehen sollten, nehmen wir - und das halte ich für die noch größere Gefahr - das vorher selbst in die Hand. Dann heißt es nicht wie bei Escobar “Plata o Plomo”, sondern "Wasser oder Atomsprengkopf".
Am Folgetag lerne ich Stefan aus Italien kennen. Wir sitzen gemeinsam auf einer Bank und warten, bis der "Mercadona" aufmacht, wo wir beide einkaufen wollen. Parallel lade ich meinen kindle an einer Steckdose, die ich kurz zuvor gefunden habe. Gold wert! Er war auf La Gomera wandern und ist - wie schon so viele vor ihm - am Schwärmen: "It's like Jurassic Park, just without dinos." Mein Vorhaben, in der Zukunft auch noch diese Insel zu besuchen, verfestigt sich zusehends. Davor war ich beim benachbartem "Dinkelbäcker" vorbeischauen, ein ausgewanderter (vermutlich) deutscher Bäcker, dessen Produkte, herrlichstes Brot, das seinen Namen verdient, ich zwischenzeitlich in einer Supermarktkette entdeckt habe. Ich will ihm einfach nur die Hand schütteln und ihm meinen Dank aussprechen. Ich stelle mich auf einen emotionalen Moment und Tränen der Rührung meinerseits ein ☺️
Die Öffnungszeiten sagen offen ab 08:00. Es ist 08:30. Dennoch geschlossen. Vermutlich im Urlaub, schade. Zu dem Thema: ich hab ein Werbevideo für das kanarische Brot erstellt. Einfach um meine "Begeisterung" zum Ausdruck zu bringen. War ein onetake 😅
Tags drauf gehe ich mit Silvia (die ehemalige Mitarbeiterin vom Hostel), die ich jetzt schon ne Weile nicht mehr gesehen habe, was trinken. Auch wenn das Angebot bescheiden ist, bestell ich mir was Warmes zum essen. Bevor wir anschließend eine Runde durch Los Abrigos spazieren, gehe ich nochmal auf die Toilette. Beim Händewaschen wird mir schlagartig bewusst, dass ich nicht nur seit zweieinhalb Wochen nichts Warmes gegessen, sondern ebenso lange in keinen Spiegel geschaut habe. Bin kurz erschrocken 😄
Nach zwei weiteren Nächten trete ich die Rückreise an: Etappe eins von...vielen. Am 20.05. "muss" ich allerspätestens zu Hause sein. Ausflug mit meinen Freunden, ich freue mich massiv! Viele Grüße! 🤗
Ich fahre also nach Santa Cruz. Es geht los mit zünftigem Gegenwind und Calima 🙈
Das "Lotterleben" hat nun ein Ende. Ich habe zwar durchaus vor hier und da eine Pause einzulegen (dazu mehr in zukünftigen Einträgen), doch im Regelfall heißt es jetzt wieder: Kurbeln, Essen, Schlafen, repeat. Aber ich freue mich auf neue Orte und neue Leute.
Meine Zweite Pause mache ich dort, wo ich das letzte Mal die vier Hühner getroffen habe. Sie sind schon da, als ich ankomme und werden von einem Rennradfahrer gefüttert. Tatsächlich sind es mittlerweile vier Hühner und vier Küken 😍
Ich lerne Nes und seine Freundin kennen. Er kommt aus Tel Aviv und lebt in den Niederlanden. Als ich ihm beschreibe, wo ich herkomme ("Karlsruhe"), meint er: "A5 Richtung Basel". Er ist Busfahrer und viel im Ausland unterwegs 🙂 Wir unterhalten uns sehr nett, während wir picknicken und die Hühner nach Futter verlangen. Er interessiert sich für meine Tour, will viele Details wissen. Zum Beispiel, ob ich eine "special diet" zu mir nehme. Ihr wisst, dass das absolut nicht der Fall ist! 😅 Zum Schluss lässt er sich nicht davon abbringen, mir noch ein kleines Carepaket mitzugeben: Salat, Gurke, gekochte Eier, Joghurt. Wie nett! Und er ist ja nicht der Erste, dem ich begegne, der sich so völlig uneigennützig freundlich und großzügig verhält. Wieder einmal denke ich: Menschen sind im Grunde einfach nett. Es sind unterm Strich nur ein paar wenige Ausnahmen, die wirklich ar***löchrig unterwegs sind und damit das Gesamtbild eintrüben. Ich will versuchen mein Gesamturteil nicht zu sehr von diesen wenigen Ausnahmen beeinflussen zu lassen.
Wir verabschieden uns und ich starte in die zweite, einfachere Etappenhälfte. Von 500 Höhenmeter auf 100, danach 300, dann 0. Einkaufen in Santa Cruz und weiter in das nördlich gelegene Dörfchen San Andrés.
Ich juble innerlich als ich den Strand entdecke. Fahrrad abgestellt, umgezogen, rein ins Meer. Es zischt und blubbert beim Eintauchen 😄 Ich lege mich aufs Wasser und genieße die relative Kälte. Anschließend nehme ich eine schöne Stranddusche, die letzte Süßwasserdusche ist auch schon was her. Warme Klamotten angezogen und massives Picknick am Strand. Kurzer Schnack mit einem Stuttgarter Paar, deren Tochter - wie sich bald rausstellt - auch beim Daimler schafft.
Eine Stunde vor Sonnenuntergang geh ich zu meinem Schlafplatzbaum. David und Silvia aus Italien liegen schon drunter. Ok, deren romantische Stunden im Zelt möchte ich nicht vereiteln. Ich nehme einen benachbarten Platz, auf den mich Thomas beim letzten Mal aufmerksam gemacht hat. Auch sehr reizvoll!
Hat er einfach mal die Haare blondiert :D Ist noch Lack am Rad übrig oder wurde alles sandgestrahlt? Sieht nach wirklich heftigem Wind aus... Gute Fahrt!
AntwortenLöschenHab drauf gewartet, dass es Dich im Video verreißt. Herrlich! :-)
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