Ungewöhnliche Kanarenradtour

 


Ich durchfahre das Anagagebirge auf der Strecke, zu der ich mir Anfang des Jahres eine Notiz im Hinterkopf gemacht habe. Mein Etappenziel ist San Andres, wo ich anderthalb Tage bleibe. Ich schlafe unter dem Baum, unter dem ich letztes Jahr meine erste Nacht auf Teneriffa verbracht habe.

 


Am Vorabend der nächsten Etappe möchte ich mir nochmal eine Pizza gönnen. Ich google, lese "Spezialität Pizza" und steuere den entsprechenden Ort an. Ich muss mich (dumm!) in der Zeile vertan haben, denn ich werde Gewahr mich in einem Fischrestaurant zu befinden. Die vegetarische Auswahl ist begrenzt. Ich bestelle im Dialog mit dem Kellner und ohne Karte eine Schüssel sehr leckerer Salzkartoffeln, dazu einen Salat und einen Käseteller. Letzterer besteht aus drei dreieckigen Käsescheiben mit einer Seitenlänge von ca. einem kleinen Finger. Beim Bezahlen wird klar, dass man hier weder auf Pizza, noch auf gemäßigte Preise steht. Der Käse alleine kostet dasselbe wie meine letzte Pizza: sechs Euro. Im Regelfall kaufe ich für diesen Betrag Nahrung für etwa einen halben Tag 😄

Die Sonne senkt sich und ich fahr zu meinem Schlafplatz unter meinem Lieblingsbaum.
Später spricht mich dort Thomas an, der mit seiner Frau Britta unterwegs ist. Er erklärt, dass er sich auch diesen Platz ausgesucht hat, was aber kein Problem sei, da er noch andere Alternativen erkundet hatte. Die beiden kommen nach dem Bezug ihres Schlafplatzes mit einer Picknickdecke vorbei und setzen sich zu mir ans Zelt. Während ich Thomas noch in der Dämmerung kennen gelernt hatte, seh ich von seiner Frau den ganzen Abend nur eine Silhouette. Es stellt sich raus, dass wir mehrere Tage gleichzeitig auf demselben Campingplatz waren, uns nie über den Weg gelaufen sind, aber gemeinsame Bekannte haben: Sascha aus Deutschland und Danielle aus Belgien. Die Insel ist wirklich nicht groß.

 


Am nächsten Morgen geht's um 0800 los. Ich fahre nach Santa Cruz und von dort aus zum Teide. Letztes Jahr war ich (blauäugig) auf derselben Strecke unterwegs und wurde dann auf 1700 m von dem netten Ranger darauf hingewiesen, dass die tiefer liegende TF-28 eine weniger anstrengende Alternative ist.
Es geht schon in Santa Cruz ordentlich bergauf, danach wird's noch steiler. Es wird wieder geschoben. Ich komme an der Stelle vorbei, wo ich letztes Jahr pausiert hab. Genau wie letztes Mal sitzen dort ältere Herren und spielen an Tischen in Schachbrett-Optik Mühle o.ä. Ich mache meine diesjährige Pause etwas später.

 


Kurz vor der Waldgrenze hält ein Van vor mir. Auf der Beifahrerseite steigt eine Frau aus: Alba. Die, bei der ich letztes Jahr halbnackt in der Küche stand, während meine Wäsche in der Trommel war. Auf der Fahrerseite kommt Sandra zum Vorschein. Die, die bei der grotesken Küchenszene plötzlich in der Tür stand 😂
Was für eine schöne Überraschung! Zumal beide auf der anderen Inselseite wohnen (dort wo die Wellen effektvoll auf die Küste donnern).
 

Bei guten 1100 m komme ich an einem entsprechenden Schild vorbei und denke, geil, fast Halbzeit! ...sollte sich wieder als Trugschluss rausstellen. Was ich zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß, ist die Tatsache, dass ich anders als beim letzten Mal nicht zwei, sondern drei Peaks vor mir habe. Letztes Jahr bin ich nach dem Teide weiter nach Westen gefahren. Dieses Jahr möchte ich ihn in Richtung Süden verlassen, um wieder zu meinem Startpunkt, El Médano, zu kommen.
 

Die Straße schlängelt sich durch den Wald. Es wird spürbar kühler, was mir ob der zu verrichtenden Arbeit zupass kommt. In Abständen von ca. zehn Kilometern mache ich kurze Pausen und esse Bananen und Schokolade. Immer wieder kommen mir Rennradfahrer entgegen, die sich teils zu aufmunternden Rufen hinreißen lassen 🙂 Einem Ranger, der mich auf "den rechten Weg" bringen will, begegne ich heute nicht. Nur einem, der beim Entgegenkommen grinst und den Daumen hochhält.
 


Stunden später: hier und da liegt etwas Schnee am Straßenrand. Ich erreiche also die erste Kuppe und kann seit einer gefühlten Ewigkeit wieder etwas rollen. Ich zieh mir ein langärmliges Trikot an. Nach wenigen Minuten des Rollens kommt der zweite Anstieg. Ich passiere die Basisstation der Seilbahn und fahre erneut durch diese - mal abgesehen von ein paar Büschen hier und da - karge Mondlandschaft. An der Abzweigung biege ich anders als letztes Jahr links ab und bin gedanklich schon auf der Abfahrt. Bald wird allerdings klar, dass es vorher nochmal bergauf gehen wird. Die dritte Zacke in der Krone des heutigen Höhenprofils. Ich frage mich, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass ich hier demnächst einfach sterbe, weil mein Körper sagt "so, das war's jetzt. Ich hab die Faxen dicke!" 🤣 Mittlerweile habe ich meine Jacke und Handschuhe an. Als Reaktion auf diesen "Twist im Plot" mache ich nochmal eine Pause. Ich finde zur Abwechslung einen nicht von Touristen überlaufenen Parkplatz, setze mich und lausche dem einzigen Geräusch, dem Wind. Keine Minute nach meiner Ankunft hält ein Reisebus vor mir, aus dem ein Schwall Touristen kommt, die aufgeregt umherlaufen und scheinbar versuchen pro Minute möglichst viele Bilder zu machen. Der Motor des Buses läuft während des Stopps natürlich weiter. Das mit dem Wind ist erstmal passé.
Weiter geht's in Richtung letzter Kuppe, die sich in unbekannter Entfernung befindet. Ich bin mir momentan nicht so sicher, ob ich diesen Punkt noch erreiche. Die Sonne steht ziemlich tief, ich stelle mir vor bald wieder in wärmere Luftschichten fahren zu können. 

Dann kommt sie, die Abfahrt, der Grund und die Motivation für die ganze Übung: die Freude 40 km Fahrrad zu fahren, bzw. zu beschleunigen ohne etwas dafür zu tun. Bei der Gelegenheit stelle ich fest, dass es auf dieser Seite des Berges auch noch sehr schöne Flecken zu entdecken gibt. In den Serpentinen muss ich mir Jubelschreie verkneifen. Meine Hände haben offensichtlich weniger Spaß, denn sie schlafen ein.
Es wird wärmer, ich durchfahre die ersten Orte. Bezüglich der Helligkeit macht die Sonnenbrille schon keinen Sinn mehr, ich behalte sie dennoch auf als "Käferschutz" ☺️
 

Einkaufen bei Sonnenuntergang, Zelt aufgebaut, duschen (unter Wasserflaschen), dehnen, essen und schlafen!
Das war sicherlich die intensivste meiner Radtouren. Erfreulicherweise kann ich am Folgetag meine Glieder benutzen und z.B. gehen! 😅

Kommentare

  1. Der bisher nie erwähnte Arbeitsschritt "dehnen" :-)

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  2. Respekt 😄 40km bergab und das mit Felgenbremsen.

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    1. mit einem cwA-Wert von 17 braucht man die Bremsen gar nicht so häufig 😄

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