Die Kuppe kommt
Ich hab uneben gelegen und schlecht geschlafen. Kalt war die Nacht, sechs Grad vor Sonnenaufgang. Ich frühstücke im Zelt, warte bis die Sonne etwas höher steht und häng meine Klamotten in dieselbe. Bei genauerer Betrachtung meines Rads fällt auf, dass ich jetzt hinten tatsächlich einen Platten hab. Das hat sich ja gestern schon angekündigt. Ich wechsle den Schlauch und starte meine Tour mit rabenschwarzen Händen.
Das war heut das Verrückteste, was ich je auf dem Rad erlebt hab. Die knapp 900 m Höhe, erschienen mir wie mehr als 2000.
Die ersten knapp 30 km ans Meer gehen leicht bergab und gut von der Hand. Dann geht's der Küste entlang in den Wind. Ich mach einen kleinen Schlenker, um einkaufen zu gehen, dann Mittagspause in der Sonne. ...an der Küste entlang: wird ja vermutlich nicht so schlimm sein - oder?
Ich hab richtig Kohldampf und hau entsprechend rein. Wahrscheinlich wegen des Hungers hab ich heut irgendwie zu viel Zeug gekauft. Muss manches auch auf non-food Taschen auslagern.
Dann geht's den ersten Berg hoch und der Wind pfeift mir zünftig von oben entgegen. Oft ist links und rechts der Straße Fels, sodass ich richtig in der Düse fahre. Im Stehen fahren, was die Steigung teils erforderlich machen würde, ist wegen des Luftwiderstands keine Option. Zusammengekauert wie bei der Bergabfahrt sitz ich auf dem Bock und kurbel in der kürzesten Übersetzung. Der Wind - das ist nicht hier und da mal ne kräftige Böe - es bläst, als ob es kein Morgen gäbe. Unaufhörlich. Am Hochpunkt fahr ich entlang einer Felsmauer um eine enge Rechtskehre. Ab dem Scheitelpunkt schiebt es mich bis auf die Mittellinie und ich kann einfach nichts dagegen unternehmen. Wie gut, dass grad kein Kiesbomber kam, den man heute zum ersten Mal hört, wenn er direkt neben einem ist.
Ich zieh mich an und mach mich für die Abfahrt bereit.
Superschöne Serpentinenstraße, geformt wie eine hingeworfene Spaghetti. Leider schon viel zu bald bin ich wieder im Tal. Diese Gleichung... 😄 lang dauernde Tortur entspricht sehr kurzem Abfahrtsspaß.
Keine zehn Kilometer geht's nochmal einen kleinen Anstieg rauf und wieder auf Meereshöhe zurück, bevor es dann zum größten Anstieg das Tages geht. Gleiches Bild wie zuvor: ich komm nur sehr mühsam voran, der Wind kennt kein Pardon. Der Berg nimmt scheinbar kein Ende. Es ist wirklich interessant, wie falsch man liegen kann, wenn man glaubt, nun den schwierigsten Teil hinter sich gelassen zu haben. Bei jeder Kuppe denke (oder vielmehr hoffe) ich "das muss jetzt aber der Hochpunkt sein" - und dann geht's weiter hoch.
Ich hab glaub noch nie so viel Zeit eines Radtages im ersten Gang verbracht. Irgendwann kommt die Kuppe dann aber tatsächlich. Die Sonne steht schon Recht flach. Das Gefälle reicht nicht aus, um zu rollen. Ich pedaliere ins Tal. Von dem Campingplatz, der seit Kilometern vollmundig auf Schildern beworben wird, ist plötzlich keine Rede mehr. Blick auf die Karte: man hätte schon vor längerer Zeit abbiegen müssen. Ein entsprechendes Schild hab ich zumindest nicht gesehen...was aber sicher nicht daran lag, dass ich etwa zu schnell unterwegs gewesen wäre 😅
Ich komme durch ein Dorf, das auf allen Seiten von in Folie eingehausten Plantagen umgeben ist. Überall Arbeiter in Warnweste auf klapprigen Fahrrädern unterwegs. Das ist wohl der hiesige Feierabendverkehr. Ich seh sie von der Durchgangsstraße abbiegen, um nach Hause zu gehen. Das Heim ist häufig ein Zelt oder ein Bretterverschlag mit Planen als Tür. Ich hab das Gefühl früher war man einfach nur einkaufen. Heute ist jede Kaufentscheidung gleichzeitig ein Politikum. Ich frage mich wieder wie viele Produkte man heute eigentlich noch konsumieren kann, ohne sich moralisch irgendwie schuldig zu machen.
Die Sonne ist bereits untergegangen. Etwas außerhalb des Dorfs biege ich rechts einfach mal ab, weil das Meer aus Plantagen nicht enden will. Ein schmuckloser eingezäunter Bereich hat ein offenes Tor. Ich manövriere das Rad schiebend um die verdorrten Büsche und Scherben. Scheinbar bin ich hier nicht allein. In einer Ecke steht ein Bretterverschlag und ein klappriges Rad davor. Ich nehm eine andere, straßenfernere Ecke.
Morgen brauch ich echt mal einen ganz normalen Tag 😅
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