Das Fahrradgeschäft
Am Abend habe ich akustisch den Eindruck als wäre ich im Vogelhaus in der Wilhelma. Hier scheint die Natur noch weitgehend in Ordnung zu sein. Die geringe Bevölkerungsdichte hilft vermutlich. Auch Insekten sind in rauen Mengen unterwegs und springen/krabbeln auf mir oder meinem Zelt herum.
Ich wache auf. Es ist bewölkt, feucht und kühl. Ein schöner Kontrast zu den Morgenstunden auf den Kanaren! Ich löffle Müsli und muss mich motivieren, diesen Tag (mit Schieben) zu beginnen. Ich packe das Zelt klatschnass zusammen und mache die letzten Kilometer bis nach Jerez de los Caballeros, der Kleinstadt, in der es den Fahrradladen geben soll. Am Ortseingang weist mich ein entgegenkommender Rennradfahrer drauf hin, dass ich rechts laufen solle. Ich habe überhaupt keine Zeit zu reagieren und hätte im Fall ausreichender Zeit - nicht reagiert.
Ich frage ich einen Mann, der gerade Stühle aus einem Café in einen LKW lädt, nach dem Fahrradladen. "Es complicado" Seine Wegbeschreibung ist sehr ausführlich. Ich bitte ihn darum, es mir auf meinem Handy zu zeigen. Er verschwindet ins Führerhaus und schreibt mir noch den Namen des Geschäfts auf einen Zettel.
Ich komme an einem Supermarkt vorbei und kaufe ein. Was, nachdem ich gestern alles weggeputzt hab, notwendig geworden ist. Gut bepackt folge ich der Wegbeschreibung.
Der "Fahrradladen" sieht von außen nicht sehr vielversprechend aus: sie stellen Motorsensen und -sägen im Schaufenster aus. Drin entdecke ich jedoch auch Fahrräder und eine Werkstatt im hinteren Teil. Ich schildere der Chefin meinen Fall, woraufhin ein junger Mann herbeigerufen wird. Er spricht etwas englisch. Ich möchte das ganze Hinterrad tauschen lassen, das ich vor (ich weiß nicht mehr wie) vielen Jahren gekauft hab. Die Felge ist ohnehin schon übermäßig verschlissen, das scheint eine typische Folge von Shimano Bremsschuhen zu sein. Dazu eine neue Kassette, der erste Gang springt schon seit Wochen über und darf nur noch sehr zurückhaltend benutzt werden. Neue Kette, ggf. neue Kettenblätter. Die Ritzelkassette müssten sie bestellen, die wäre dann morgen da. Ich stimme zu und frage, wo ich hier unterkommen kann. Er empfiehlt mir ein Hotel.
Die Sonne ist zwischenzeitlich rausgekommen. Ich nehme das Zelt, meinen Rucksack und zwei meiner vier Taschen mit und laufe ein Stück die Straße runter, um das Zelt zu trocknen. Im Geschäft hatte es schon eine Pfütze hinterlassen. Auf der großzügigen Zufahrt eines Industriegebäudes schlage ich es auf und frühstücke nochmal.
Hab heut wieder nur furchtbares Brot bekommen und "musste" (weil ich Käse wollte) wieder den einen Käse wählen, der mir mittlerweile schon etwas zum Hals raushängt 😅 Unter diesem Aspekt werde ich vor Freude Rückwärtssalti machen, wenn ich wieder in Frankreich bin! Mmh, frisches, noch warmes Baguette, das seinen Namen verdient und dazu z.B. Mimolette 😍
Mein Körper reißt mich aus meinen Tagträumen indem er nach Kohlenhydraten giert. Ich spüre, dass das Laufen doch nochmal eine ganz andere Herausforderung ist.
Ein Polizeiauto fährt hinter mir durch den Kreisel. Es muss kurz drauf gewendet haben, denn plötzlich steht es vor mir. Zwei Beamte steigen aus. Ich grüße freundlich und eröffne das Gespräch mit dem Hinweis, dass mein spanisch nicht das beste ist. Beim Aufstehen merke ich, dass ich heftigen Muskelkater in den Oberschenkeln habe, hinten/innen. Ich bewege mich etwas staksig. Wir verständigen uns per Hand und Fuß. Es geht schleppend voran. Ein Duett aus gestellten Fragen und fragenden Blicken.
Einer der beiden erkundigt sich schließlich, ob ich französisch spreche. Ich: "oui". Damit hat er wohl nicht gerechnet, denn nach einem (scheinbar) französischen Wort (ich konnte es als solches nicht ausmachen) wechselt er wieder ins spanische 😂 Der andere packt google translate aus. Unterm Strich wollen sie meine Papiere sehen und wissen wo ich hin will. Ich sage, ich fahr mit dem Rad nach Deutschland. Wo denn das Rad sei. Die Frage kam nicht unerwartet 😅 Ich mach eine Stöckchen-durchbrechen-Geste und sage: "bicicleta". Jetzt kann ich den Zettel mit dem Namen des Geschäfts unterstützend präsentieren. Sie nicken wissend, denn der Laden befindet sich 200 m von hier.
Besonders betonen sie, dass ich nicht in der Stadt zelten dürfe. Ich müsse mein Zelt entfernen. Jetzt nicke ich wissend: "si, claro". Sie deuten auf eine Wiese in Sichtweite. Dort sei es ok. Insgesamt gut zu wissen, dass sie beim Thema Zelten so entspannt sind. In dieser Gegend 'ausversehen' in einer Stadt zu zelten ist aber schon von den Flächenverhältnissen Stadt/Land recht unwahrscheinlich. Ich habe aber ohnehin vor ins Hotel zu gehen, um mich und meine Kleider zu waschen.
Einer der beiden (bad cop) zeigt mir immer neue, durch sein Handy übersetzte Anweisungen/Fragen, während der andere sichtbar zunehmend unruhig wird, hin- und herläuft und seinen Kollegen immer wieder auffordernd "vale?" fragt.
Vielleicht um die Situation zu entspannen studiert er mein Picknick sehr eingehend und sagt dann "bon alimentation". Ich nicke. Anschließend mach ich eine Fahrradfahr-Geste, wische mir den imaginären Schweiß von der Stirn und sage: "mañana".
Sie sehen zufrieden aus (der bad cop etwas weniger), geben mir meinen Ausweis zurück und fahren weiter.
Später erfahre ich von meinem Kontakt aus dem Geschäft, dass sie direkt danach bei ihm waren, um den Wahrheitsgehalt meiner Aussagen bzw. die Existenz meines Rads zu verifizieren 😳
Ich packe das mittlerweile trockene Zelt wieder zusammen und mache mich auf den Weg zum nahe gelegenen Hotel. Ich bin froh, dass die Taschen sonst von meinem Rad getragen werden, denn meine Arme werden sehr schnell lang.
Im Hotel angekommen werde ich freundlich empfangen, kann meine Kleider zum Waschen abgeben und nehme zuallererst eine warme Dusche! Was für eine Wohltat!
Ich habe den Eindruck, dass auf der Hinreise, die Cops entspannter waren. Vielleicht siehst Du mittlerweile einfach ein wenig verlottert aus.
AntwortenLöschenSuper, dass du deine Reise so lebhaft beschreibst. Schon verrückt, wie weit man da von der Zivilisation weg ist, wenn es mehrere Tage dauert, zu einem Fahrradladen zu kommen :). Mega spannende Geschichte!
AntwortenLöschenDass in Spanien die Straßenränder aussehen wir Müllkippen habe ich auch schon bemerkt. Echt schade. Weil eigentlich haben die ein richtig schönes Land. Am schlimmsten waren immer die nicht bewirtschafteten Parkplätze an der Landstraße. Aber meistens findest du ja einen kuscheligen Platz fürs Zelt.
Gute Fahrt mit dem neuen Hinterrad! Auch wenns nur ein Placeboeffekt ist, geht es morgen sicher 20% schneller als mit dem alten Rad :)
Ich war echt froh, dass der auch tatsächlich Fahrräder hatte. Hier ist wirklich wenig los. Hab geschaut: Bevölkerungsdichte 1/12 von BaWü
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