Mach Dich frei

Der Titel verrät es schon, jetzt möchte ich in den off-topic Bereich wechseln und über etwas schreiben, das mich seit Jahren brennend interessiert und maßlos fasziniert. Ich freu mich kürzlich mehr darüber gelernt zu haben und es damit auch für mich selbst in einen neuen Kontext bringen konnte. Das wird ein Dreiteiler, Teil I heißt:

Das Bewusstsein
Wissenschaftlich wissen wir sehr wenig darüber. Ähnlich wie beim menschlichen Mikrobiom wissen wir, dass es vorhanden ist, aber beschäftigen uns nicht wirklich damit, weil es irgendwie unsexy ist.
Wir glauben, Menschen haben unter den Lebewesen die höchste Form eines Bewusstseins. Das ist vermutlich nur teilweise richtig. Wir nehmen den Zustand unseres Bewusstseins als gegeben wahr und konzentrieren uns, wenn das eigene Selbst das Thema ist, viel eher auf unseren Intellekt oder unsere physischen Merkmale.

Doch wir sollten beginnen darüber nachzudenken, dass das Bewusstsein der Menschen kein Zustand ist, sondern ein lebenslang fortwährender Prozess (sein sollte). Diejenigen Menschen, die sich dessen bewusst sind, können an dieser Entwicklung arbeiten und sie vorantreiben. Beim Rest geschieht es im Erwachsenenalter wenn überhaupt eher zufällig, etwas unkoordiniert und kommt unnötig früh zum Erliegen, weil es schlicht nicht als Arbeitsfeld wahrgenommen wird.

Jane Loevinger hat hierzu ein Modell der Ich-Entwicklung erstellt, weil sie bei der Persönlichkeitserfassung bestimmte Regelmäßigkeiten erkannt hatte und diese dann in Stufen klassifizierte.
Frau Cook-Greuter hat dieses Modell aufgegriffen und erweitert.
Im Grunde geht es darum, dass sich der Mensch vom impulsiv handelnden Kleinkind ohne Bewusstsein für ein Selbst in höhere Stufen entwickelt, in denen verstärkt Abstraktion und ein Wechsel des Blickwinkels möglich werden. Wir alle haben also die Chance uns auf diesem Gebiet weiterzuentwickeln, wohingegen z.B. meine Persönlichkeitsmerkmale wie Intro- oder Extrovertiertheit eher statisch sind.

Erst durch Kenntnis dieses Modells habe ich eine Überschrift für das gefunden, was in meinem Leben passiert, besonders für diese aktuelle Phase, in die ich einem starken Gefühl folgend, aber bar jeder Fähigkeit einer Beschreibung, reingestolpert bin. Ich habe mich in der Vergangenheit tatsächlich gefragt, woran es liegt, dass ich scheinbar immer kritischer werde, immer mehr Dinge hinterfrage und meine Werte einen teils krassen Wandel durchlaufen. Jetzt ahne ich: Das war meine persönliche Bewusstseinsentwicklung, derer ich mir allerdings nicht bewusst war 😊

In der Arbeit von Frau Cook-Greuter werden die neun Stufen der Ego-Entwicklung ausführlich beschrieben.
http://www.cook-greuter.com/Stufen%20der%20Selbst-Entwicklung%2010.06.08%20-%20A4-2.pdf

Das Ego ist hierbei zu verstehen, als der Teil von uns, der versucht die Dinge einzuordnen und ihnen eine Bedeutung beizumessen. Das Ego ist unser ganz persönlicher storyteller und Ziel der ganzen Übung ist zu erkennen, dass es nicht Teil unseres Selbst ist. Es ist ein über die Jahre geschaffenes Gedankenkonstrukt und ein jeweils individueller "Realitäts-Filter". Im Zuge dieser Entwicklung wird es einem Individuum zunehmend möglich die Welt durch die Augen anderer zu sehen.
Alle Stufen haben gemeinsam, dass die Mitglieder der jeweiligen Stufe in einer dem Level entsprechenden Wahrnehmung der Realität leben. Was sich nach oben hin ändert, ist die Fähigkeit die Existenz der anderen Stufen erst einmal wahrzunehmen und sie zunehmend ins eigene Denken und Handeln einzubetten.

Sie beschreibt, wie in den unteren, den impulsiven und konventionellen Stufen das Ego zunächst konstruiert wird, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. In den oberen, den post-konventionellen Stufen wird das zunehmend erkannt und der Rückbau des Egos kann beginnen.
Man beginnt Fragen zu stellen. Man ist zunehmend in der Lage das eigene, bisherige Wertesystem zu verlassen und sich von außen zu betrachten. Man schafft ein Bewusstsein dafür, dass die Wahrnehmung der Realität eine Frage des Blickwinkels ist. Ein Bewusstsein für eine Relativität wird entwickelt. Die größte Gefahr stellen nicht mehr andere Gruppen oder Denkweisen dar, sondern die eigenen, durch die individuelle Umwelt indoktrinierten Glaubenssätze.

Wir sollten alle so bescheiden sein einzusehen, dass es für jeden einzelnen Entwicklungspotential gibt, völlig egal, wo er oder sie gerade steht. Es liegt in der Natur der Sache, dass diejenigen Menschen, bei denen es das größte Entwicklungspotential herrscht, sich am vehementesten gegen diese Ansicht stellen werden.

Ich denke, jetzt verstehe ich auch besser, warum ich manchmal an mir oder meiner Wahrnehmung gezweifelt habe. Wenn Menschen in großen Gruppen etwas tun und dabei entspannt und glücklich wirken, während mir die z.B. Unsinnigkeit/Ungerechtigkeit/Widersprüchlichkeit etc. dieser Aktion laut ins Gesicht schreit. Ich dachte, warum sehen die Leute denn nicht, was so offenbar ist? Ich tat (und tue) mich immer sehr schwer damit anzunehmen, ich sei intelligenter. Das ist definitiv nicht der Fall und darum geht es auch nicht. Es geht darum, dass die eigene Weltsicht, das eigene Wertesystem, der eigene Standpunkt (bzw. die Fähigkeit verschiedene Standpunkte einzunehmen) eine Funktion der Entwicklung des Egos ist.

Wir definieren unsere Fähigkeiten oder unsere Qualität als Mensch oft anhand der Intelligenz, die sich scheinbar durch unser Bildungssystem ermitteln lässt, lassen die Dimension des Bewusstseins aber völlig außen vor. Zumindest wurde ich noch nie danach gefragt. Im Abi-Jahrbuch meines Jahrgangs habe ich mich dazu geäußert (Erinnerungsprotokoll): es ist traurig, dass nichts zählt, außer der Zahl (die Benotung) unter meiner Arbeit.
Mich hat gestört, dass ich nun dieses Zeugnis, als Referenz für mich oder meine Fähigkeiten vorlegen kann, aber im Grunde interessiert es niemanden, mit wem sie es eigentlich zu tun haben.

Du kannst noch so intelligent sein; wenn die Probleme aufgrund Deiner Weltanschauung nicht in Dein Bewusstsein vordringen, kannst Du natürlich keine Handlung ableiten. Oder anders: wenn sich das Dateiformat auf Deinem Betriebssystem nicht öffnen lässt, siehst Du zwar die Datei als icon im explorer, kannst aber nichts damit anfangen. Für Dich ganz persönlich ist das Problem nicht erkennbar, obwohl es faktisch und sichtbar vorhanden ist. Das war für mich wahrlich ein 🤯 Moment und erklärt mir (im Rahmen meiner eigenen Weltanschauung) so einiges!

Ich kann bestens nachvollziehen, dass dieser Text dem einen oder anderen stellenweise etwas zu esotherisch wird. Ich selbst bin Ingenieur, zahlenorientiert und hab mich mit diesen Themen lange Zeit schwer getan. Es ist schwierig für mich auf diesem Gebiet die richtigen Worte zu finden, ohne dass es zu schwurbelig wird. In solchen Momenten müsst ihr einfach stark sein 🙂

Dazu kommt, dass wir es in unserer Gesellschaft einfach nicht gewohnt sind, über das Sein, das Selbst zu sprechen. Wenn in einem Gespräch die Vorsilbe psycho-... fällt, ist die Assoziationen schnell "krank", "nicht alle Tassen im Schrank", "Klapse". Damit beschäftigt man sich nicht. Wir Menschen tendieren dazu uns auf die Materie zu konzentrieren, der Raum dazwischen, das nicht greifbare ist praktisch inexistent und damit irrelevant. Großer Trugschluss!

Warum ich mich etwas mehr mit diesem Thema befasse, als vielleicht der Durchschnitt, hat mit meiner ganz persönlichen Geschichte zu tun. Ich habe im Jugendalter ein recht unspezifisches, schlecht zu beschreibendes Gefühl entwickelt, dass meine Gefühlswelt irgendwie anders ist, als die z.B. meiner Klassenkameraden. Ich wollte der Sache auf den Grund gehen und habe meine bis heute andauernde "quest" nach der Frage "warum bin ich, wer ich bin" begonnen. Meine große Schwester, Yvonne, die ihrerseits sehr reflektiert war und ist, hat mir dabei durch das Stellen der richtigen Fragen sehr geholfen. Ganz simples Bsp.: ich habe auch lange Zeit zur großen Gruppe der Menschen gehört, die etwas isst, weil es eben schmeckt. Dass das nur eins von vielen Argumenten ist, etwas zu essen, war mir nicht bewusst. Sie frug mich (einen zuckrigen Chemiejoghurt löffelnd) also "warum isst Du denn sowas?"
Ich habe die Frage erst gar nicht verstanden, dann aber angefangen drüber nachzudenken. Ich habe ein Bewusstsein (wink, wink) für Ernährung entwickelt. Das bedeutet nicht, dass dann der Schalter für ein neues Verhalten umgelegt wird. Aber es wird ein Prozess gestartet. In diesem Fall hat es aber nochmal einige Jahre gedauert, bis ich tatsächlich angefangen habe, meine Handlungen danach auszurichten. Ich brauchte etwas Zeit diesen Prozess für mich zu durchlaufen - und natürlich läuft er noch immer!
In der Schule habe ich Philosophie gewählt und im Arbeitsleben diejenigen Schulungen, die eher meiner persönlichen Entwicklung dienen, als z.B. Powerpoint-Skills vermitteln (ich glaube auch in einer dieser Schulungen in einem Nebensatz zum ersten Mal von dem o.g. Stufenmodell gehört zu haben).
Sprich, mich hat das Themenfeld immer interessiert und ich wollte ständig mehr darüber erfahren.
Die Fantastischen Vier haben sich besonders in den frühen, weniger pop-orientierten Jahren mit solchen Themen befasst und richtig ausgefeilte Texte dazu geschrieben. Diese haben mich als Fan und Teenager oft grübelnd zurückgelassen. "Meine Fresse, was will er mir eigentlich sagen?!" Ich wollte verstehen, was sie ausdrücken wollen und habe angefangen über ihre Inhalte nachzudenken. Daher auch meine an einen F4 Titel angelehnte Überschrift: "Mach Dich frei"

Also: das Bewusstsein ist ein Entwicklungsfeld für jeden

Meine These:
Wir Menschen werden solange nicht aufhören uns selbst zu schaden, bis wir uns bewusst werden, dass wir in der Lage sind selbst Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen.

Doch momentan sind wir dabei uns  langfristig selbst von diesem Planeten zu wischen.
Sei es durch physische Zerstörung oder einer Art "Herunterfahren" durch eine KI. Wie kein anderes Lebewesen sägen wir an dem Ast, auf dem wir sitzen. Keine andere Spezies würde auf die Idee kommen, die eigene Lebensgrundlage so zu unterwandern. Wir halten uns für superintelligent, sind aber zu dämlich, so zu leben, dass man von einer Arterhaltung sprechen könnte. Es scheint fast so zu sein, als wäre unser menschliches Bewusstsein die Ursache dafür. Wir tun das alles, weil wir es eben können. Doch tatsächlich ist es ein Mangel an Bewusstsein, der uns so irrational handeln lässt. Es ist wie eine Art Ungleichgewicht zwischen Intelligenz und Bewusstsein.
Denn wir wissen, dass wir schräg unterwegs sind, wir sehen und verstehen das, wir wissen auch, welche Maßnahmen helfen würden, aber wir scheinen wie in einem Eisblock gefangen dazu verdammt regungslos zuzusehen, was wir anrichten.
Der Grund dafür ist, dass die Entwicklungsstufen des allergrößten Teils der Weltbevölkerung eine nur sehr egozentrierte Sichtweise ermöglicht bzw. eine Sichtweise, die sich maximal auf die sie umgebende Gruppe ausdehnt. Erst in höheren Stufen ist es möglich, diese Egofixierung zu überwinden und eine "Welt-Sicht" zu entwickeln. Das, was ich tue oder lasse wird nun in den Gesamtkontext eingebunden. Es wird klar: meine Handlungen machen den Unterschied - für mich und für die anderen.
Solange wir uns nicht weiterentwickeln, um diese Sichtweise zu erlangen, was uns überhaupt erst befähigt handeln zu können, befinden wir uns weiterhin auf Kollisionskurs. Trotz aller Intelligenz, trotz aller demokratischen Errungenschaften, trotz aller Wissenschaft und Technologien: wir sind wie gefesselt und schauen einfach nur zu, was passiert.

Wir sind so losgelöst von der Natur und unseren eigenen Wurzeln, dass es an Geistesgestörtheit grenzt. Wie der Elefant im Porzellanladen reißen wir alles nieder und glauben irrigerweise, dass wir unabhängig sind. Den Plunder braucht doch kein Mensch! Falls sich eines Tages herausstellen sollte, dass wir falsch liegen, wirds irgendeine Technologie schon richten. Aber solange es noch irgendwie möglich ist, wollen wir weiter Teller und Vasen zerdeppern. So lange bis alle Regale leer sind.

Viele Staaten werden von Psychopaten regiert, die wegen ihres aufgeblähten Egos den Bezug zur Realität schon völlig verloren haben. Sie richten in kürzester Zeit immensen Schaden an und die Weltgemeinschaft sieht nur zu.

Überall finden sich viele kleine Gruppen, die alle fest überzeugt sind Recht zu haben und sich strikt von den anderen Gruppen abgrenzen möchten. Man steht sich in seinen Ansichten nicht nur unvereinbar gegenüber, nein, im Extremfall wird die Größe der gegnerischen Gruppe durch Gewaltanwendung dezimiert. Andere Menschen anders denken und leben zu lassen scheint für viele Menschen schwierig zu sein. Die Handlungen fußen auf der eigenen, nicht bewussten Egozentriertheit: ich oder meine Gruppe gegen die anderen. Das läuft so lange bis man begreift, dass die Ursache aller Konflikte die eigene Selbstsucht ist.
Das erklärt, warum sich viele Konflikte nie aus der Welt werden schaffen lassen, solange hier keine Entwicklung im Bewusstsein stattfindet.

Wir sind ganz hervorragende Selbsthypnotiseure und super darin, uns selbst etwas vorzumachen.
Wenn ich mich als Erdenbürger betrachte, ist die Kuh mein Nachbar zwei Straßen weiter. Zu den anderen Nachbarn, Hund oder Katze, habe ich allerdings ein viel besseres Verhältnis. Ich kenne ihren Namen, mit ihnen teile ich mein Haus, mein Essen, mein Bett und wenn sie sterben würden, wäre ich tottraurig. Es ist Sonntag, wir liegen alle gemeinsam auf der Couch rum und schauen Netflix. Es klingelt an der Tür: es ist Nachbar Kuh, ob er auch dazustoßen könne.
"Achso! Ne! Wusstest Du das gar nicht? Wir haben willkürlich dich und deine Familie ausgewählt als diejenigen, die sterben müssen. Das ist jetzt Dein Job. Wundert mich eigentlich, dass Du noch in Deinem Haus wohnen darfst und nicht schon abgeholt und weggesperrt wurdest. Du musst nämlich nicht nur sterben, sondern Dein ganzes Leben und das Deiner Kinder und Kindeskinder wird ab der Geburt ein einziger Albtraum sein. Du wirst keinerlei Rechte haben, man wird Dich ohne jede Würde behandeln, Du wirst entsetzliches Leid erfahren und am Ende Deines kurzen, traurigen Lebens wirst Du grausamst in einer effizienten, industrialisierten Art und Weise getötet werden, weil Du nur tot Deinen Zweck erfüllst. Und Du bist einer von vielen Millionen jährlich! Hast Du das nicht gewusst?"

Jetzt mal ehrlich: wenn man uns Menschen aus der Ferne zuschauen würde und dieser Zuschauer den Unterschied zwischen den verschiedenen Arten nicht klar erkennen könnte, sieht das, was wir Menschen tun einfach sehr grausam aus.
Unsere Intelligenz ist offenbar nicht in der Lage uns zu einem Mindestmaß moralischen Handelns zu verhelfen. Da das nicht in unser eigenes Selbstbild passt, wird relativiert (z.B. andere Säugetiere essen auch Fleisch) bzw. einfach verdrängt.

Wir regen uns über Wal- oder Robbenfänger auf, finden aber das millionenfache Töten unserer "Nutztiere", die in großen Teilen für den Export (sprich: bessere Marge) bestimmt sind, scheinbar ok. Das Gesetz besagt, man dürfe Wirbeltiere nur aus vernünftigen Grund töten. Sie essen zu wollen wird dabei allgemein als vernünftiger Grund akzeptiert.
Doch jeder, der wirklich ehrlich zu sich ist, wird das nicht gutheißen können. Wir sind einfach nur meisterlich darin, die Augen ganz fest zu verschließen, wenn wir etwas nicht sehen wollen.
Denn ich unterstelle, niemand schafft es einen Burger zu essen und dabei eine Doku über die Zustände in europäischen Schlachthöfen, Tiertransporte etc. anzusehen ohne weinen oder sich übergeben zu müssen - oder beides.
Also blenden wir einfach den Teil aus, der uns beim Konstruieren unserer Story nicht so gut reinpasst. Und schon schmeckt's wieder!

Neben dieser Selbsttäuschung werden wir permanent massiv von außen geblendet und manipuliert.
Es regiert der Hyperkapitalismus und der Materialismus. Ohne Rücksicht auf Verluste wird die Marge verbessert (s.o.). Nur ein kopflos konsumierender Bürger ist ein guter Bürger.
Wir werden an so vielen Stellen, den ganzen Tag manipuliert und wir sehen es nicht (obwohl wir es ja wissen).
Wir glauben, wer ich bin, definiert sich darüber, was ich habe. Die Menschen bekommen fast permanent über alle Kanäle eingetrichtert, dass sie der Kauf von x zu einer angesehenen Person macht oder man sich mit dem Kauf von y zum Kreis der Elite zählen kann. Dann hast Du es geschafft. Doch niemand bemerkt, dass das immer nur kurze Strohfeuer sind. Die Zufriedenheit stellt sich einfach nicht ein, obwohl die Wohnung, die Garage und der Kleiderschrank schon überquillen. Wir rennen blind weiter auf der Suche nach Glück. Wenn der drei Jahre alte 50" Fernseher keine Befriedigung mehr bringt, dann versuche ich es halt mal mit dem 60" Fernseher. "Sich etwas gönnen" ist bei uns immer gleichbedeutend mit etwas konsumieren. Schon mal aufgefallen?

Naturgemäß streben wir nach Liebe und Anerkennung. Also bekommen wir von der Werbeindustrie fortwährend gezeigt, dass wir erst dann richtig angesagt sind, wenn wir x besitzen. Wir versuchen in der Folge ständig uns selbst durch die Verknüpfung mit Dingen einen Wert zuzuschreiben. Da dieses Unterfangen in sich ein Denkfehler ist, kommen wir so niemals irgendwo an. Die Marktteilnehmer tun so, als gehe es ihnen um ihre Kunden, als haben sie ein Interesse daran, das Leben ihrer Kunden zu verbessern. Dabei sind wir oft nichts weiter als das Produkt selbst. Wie die Kuh, die sich freut gratis im Stall wohnen zu dürfen. "Oh geil, das Futter ist auch gratis!" Wenn es einen authentischen Bedarf an all diesen Produkten gäbe, müssten sie nicht permanent aggressiv beworben werden, verknüpft mit der Lüge, dass Dich das Produkt zu einem wertvolleren Menschen machen wird.
Precht sagt "die systematische Unzufriedenheit mit dem Erreichten ist eine kapitalistische Notwendigkeit; psychologisch und ökologisch allerdings ist sie eine Pathologie unserer Kultur." Die Menschen laufen ihr Leben lang unerreichbaren Zielen hinterher, streben immerfort nach mehr. Unsere Art zu wirtschaften, der "Imperativ der Vernutzung" wird laut Precht zur Extremform. "Nicht das gute Leben, sondern die Akkumulation von Kapital ist Mittel und Ziel. Das bessere Leben verkommt dabei zum Marketingbegriff in einem System, in dem es um die Lebensqualität eigentlich gar nicht geht."
Wohin soll dieses immer Mehr führen, welches Ziel verfolgen wir eigentlich? Warum tun wir eigentlich, das was wir tun? Wir sind bestrebt, unsere Aufgaben richtig zu lösen, aber wir fragen nicht, ob die Aufgabe die richtige ist.

Wir alle sind uns im Prinzip bewusst, dass diese Beispiele nur ein verschwindend geringer Teil der ganzen Verblendung sind.
Ich denke, wir sollten versuchen in den paar kostbaren Jahren, die wir physisch auf der Erde rumspazieren dürfen, unsere Zeit nicht mit irgendwelchen Selbsttäuschungen und Luftschlössern zu verspielen. Dies gelingt umso besser, je bewusster man lebt.

Auf dem Album "Deluxe Soundsystem", m.E. einem Meilenstein der deutschen Rapgeschichte, sagt Sam in Anlehnung an Bob Marley "life is one big road und wenn Du am Ende bist, bist Du nicht am Ziel, sondern tot." Das ist im Prinzip alles, was man wissen muss.







Kommentare

  1. Danke für den wertvollen Text. Regt definitiv zum Nachdenken an. Bin schon auf die Fortsetzung gespannt ...

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  2. Top. Vor allem auch der weiter führende Link.

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  3. Danke für den Text, da steckt so viel drin was es zu besprechen wert wäre und worüber ich nun nachdenke...
    Diese Konditionierungen und Glaubenssätze, die uns sagen was wir wie zu tun haben, was richtig und falsch, was erstrebenswert und was unsinnig ist, ich stelle sie mir wie eine formgebende Verpackung vor. Diese Verpackung hat ungefärbtes, reines Bewusstsein verpackt, welches aber die Form der Verpackung angenommen hat, denn Bewusstsein ist flüssig. Es ist das, was (mehr oder weniger) wach aus jedem von uns herausschaut. Diese Verpackung abzuwickeln oder erst einmal zu begreifen, dass es eine Verpackung gibt und "ich" nicht die Verpackung ist, ist schon ein gewaltiger Schritt. Dazu braucht es aber eine wichtige Zutat, es ist das übernehmen von Verantwortung. Ich denke das ist unser größtes Problem. Wir haben Angst die volle Verantwortung für unser Erleben/Leben zu übernehmen. Das macht uns extrem unmündig. So können andere die Führung übernehmen. So kommt es, dass wir uns unseren Ängsten hingeben, Blockaden leben und uns nicht unseren Schatten stellen um dafür erkenntnisgenährt, klar und bewusst ein mündiges und Sinn stiftendes Leben zu führen. Die Verpackungen sind festgeschnürt, sie abzuschütteln ist anstrengend und Verantwortung übernehmen kann erschreckend sein. Oft schmerzt es.
    Was unser Bewusstsein betrifft müssen wir selbst, jeder Einzelne, Verantwortung übernehmen. Wenn wir uns nicht darum kümmern, dann verkümmert es. Was nicht wächst stirbt und da wir leider in der Schule nicht lernen wie wir mit uns umgehen können, wir nicht diskutieren was Realität und Sinn bedeutet xxx, müssen wir es selbst tun. Wir müssen selbst Verantwortung für unsere geistige Entwicklung übernehmen und das heißt auch an Stellen schauen, die wir nicht sehen wollen, die wir verdrängen weil sie uns nicht gefallen. Aber das alles gehört dazu. Und es ist auch gar nicht weiter schlimm wenn man eine Grundregel der Bewusstseinserkundung befolgt: Es ist, den Geist des Forschers einzunehmen. Ein Forscher bewertet nich. Er ist neugierig und euphorisch ob der Wunder die zu entdecken sind. Permanentes urteilen (und der unkritische Glaube an alles was wir "gelernt" haben) ist ein Sargnagel und bringt uns kein Stück weiter wenn wir eine neue Situation erschaffen und neue Erfahrungen machen wollen.
    Um es mit den Worten Käptn Pengs zu sagen: "Der Detektiv findet nicht gut oder schlecht, sondern heraus!".

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    1. Alles fließt! Echt fantastisch, man klickt hier auf diesen Blog und dann bamm, unverhofft soft, kommt wieder ein mind-opening Kommentar.

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