Tout droit


Ich hatte meine Bremsen nachgestellt. Ich mag es, wenn der "Druckpunkt" sehr früh kommt. Das gibt mir subjektiv ein besseres Verzögerungsgefühl, was objektiv natürlich Quatsch ist. Jedenfalls hab ich es am Hinterrad wohl etwas zu gut gemeint. Da mein Fahrrad und ich so 🤞 sind, hatte ich beim Fahren schon das Gefühl "an diesem Hang, auf dem Belag, bei meinem aktuellen Reifendruck und der Beladungssituation, bei dem Wind und meiner Körperhaltung müsste ich eigentlich gut ein km/h schneller rollen." 🤣 Ich hab die Bremse dann etwas geöffnet und damit aufgehört mit meinen Beinen neben dem Vortrieb die Felge warm zu halten. Ging danach gleich spürbar besser.  


Es geht weiter nach Norden, nahe der Küste, fast nur auf Radwegen. Auf endlos scheinenden Geraden fahr ich an Abertausenden (wie ich gelernt hab:) von Napoleons Bäumen vorbei. Wir sprechen hier von zehn km langen schnurgeraden Linien durch den Wald - bevor ein leichter Knick kommt. 


Wenn man hier Auto fahren dürfte, könnte es einem gut passieren, dass man erst nach ner Viertelstunde merkt, dass das Lenkradschloss noch eingerastet ist 😅


Das Wetter ist ganz nett. Sehr bewölkt, am Mittag regnet es ein bisschen. Heute Nacht soll es wieder regnen. Wenn ich zu lange Pause mache, fange ich an zu frieren. Dann zieh ich die Jacke an, um sie dann nach den nächsten zwei gefahrenen km wieder runter zu reißen.


In einer Bäckerei hol ich mir mein gefühlt 17. Baguette seit ich wieder in Frankreich bin. Dieses hier war besonders lecker. Ich freu mich massiv und lobe die Dame hinter der Theke, nachdem ich das erste Baguette (draußen, den Regen abwartend) inhaliert hab. Ich frag sie auch, ob sie mir meine Wasserflasche auffüllen könnte. Macht sie anstandslos 🙂 Die Szene muss ein Handwerker mit seinem Sohn mitbekommen haben. Draußen auf dem Parkplatz winkt er mir und mich dann zu ihm hin, um mir eine Flasche Wasser mitzugeben. Ein Sandwich bietet er mir auch noch an (was ich dankend ablehne). Sehr nett! Über die Geste, viel mehr als über das Wasser, hab ich mich sehr gefreut. Plus, ich fühle mich wieder bestätigt, dass die Menschen "im Grunde gut" sind 🤗 


Weiter geht's auf die nächste Gerade.



Und dann noch weiter geradeaus



Irgendwann kommt wieder ein Knick, dann geht's wieder ne halbe Stunde geradeaus. Ein entgegen kommender Wanderer kann sich ein "Späßle" nicht verkneifen, ruft "tout droit!" ("geradeaus!") und wedelt mit dem Arm in die Richtung, in die ich aktuell fahre (und für die nächsten 20 min. ausschließlich fahren kann!). 

Die vielen Leute, die mir im Verlauf eines Tages entgegen kommen, sind meistens sehr nett. Grüßen mit diesem wunderbar authentischen "bonjour", bei dem die Stimme hinten hochgeht (nicht fragend! 😅) und strahlen dabei. Es macht Spaß das mitzuerleben, wenn Menschen gut drauf sind. Vor allem wenn sie dabei auf einem Fahrrad sitzen!

Die Infrastruktur ist dünn, wie der Wald dicht ist. Am Abend bin ich froh, nochmal einen Carrefour zu finden, um massiv Nahrung zu kaufen. Die Sonne würde sich jetzt senken, wenn ich sie sehen könnte. Nur circa vier km nach meinem Einkauf schimmert ein Dach im Wald durch. Ich dreh um und biege ab. Eine Hütte, zwei Unterstände und davor eine Wiese. Vermutlich ein Jagdplatz, wo sich am Wochenende vermutlich die ansässigen Jagdscheinbesitzer (?) volllaufen lassen und unschuldige Rehe abknallen, um sich dann womöglich deren Schädel voller stolz an die Wand zu hängen. Wieder so eine connerie! Naja, jedenfalls hoffe ich, dass die heute Nacht kein "Klassentreff" haben. Vielleicht lieg ich aber auch völlig daneben und hier wird "offroad-Boule" gespielt.  

Das Zelt steht, gegessen ist (vorerst). Ich bin hier im Nirgendwo. Sogar der Empfang ist schlecht (außerhalb Deutschlands ist das ungewöhnlich). Ich höre abgesehen von den Grillen und ab und zu einem quakenden Frosch (Teile des Waldes sind sumpfig) überhaupt nichts, außer dem Kuckuck, der ganz in der Nähe singt. 



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Ankunft

Schafe

POT - Der Film :-)