Rio Sar
Ich arbeite mich weiter nach Norden zur spanischen Staatsgrenze, die durch den Rio Miño abgebildet wird. Am nördlichen Ufer fahre ich an ein paar Streifenwagen vorbei, die abgesehen von dem ESPANHA Schild vielleicht der wichtigste Hinweis auf einen Grenzübergang sind.
Etwas später fahre ich ein Stückchen auf einer Straße, von der ich nicht genau sagen kann, ob es noch Bundesstraße oder schon Autobahn ist. Der Verkehr ist dünn. Die erste Abfahrt nehme ich auch schon wieder. Wenige Sekunden später überholt mich ein Polizeiwagen, der Beifahrer deutet neben sich auf den Boden. Wir halten an, er steigt aus, kommt auf mich zu. Er fragt, wo ich herkomme und ob ich spanisch spreche. Letzteres verneine ich zu meiner Schande wahrheitsgemäß. Wir wechseln auf englisch. Er spricht etwas englisch, fast schon nett, wie er sich bemüht, mir die message rüber zu bringen. Anstatt "can't" sagt er "can" und teilt mir also mit ich könne auf dem Highway fahren. Ich beziehe mich auf das, was er offensichtlich meint und stimme zu. Dann steigt der Fahrer aus, der nach Aussage des Beifahrers derjenige ist, der wirklich englisch spricht. Er kommt auf mich zu, genau das gleiche: "you can go on the highway!" Ich stimme wieder zu 😅 Freundlich sind sie, geben mir einen Tipp für eine legale Straße und wünschen gute Fahrt.
Also weiter auf der N-550. Nur kurz drauf kommen mir zwei Polizeimotorräder entgegen. Der erste Fahrer tippt sich überdeutlich auf seinen Helm. Ich habe meinen wegen eines längeren Anstiegs gerade nicht auf. Ich nicke ihm zu und stelle den Mangel ab. Hatte Lara wohl Recht mit der Helmpflicht in Spanien. War mir neu und war bis gerade eben noch nie ein Thema.
Mit den anstehenden Feiertagen im Sinn, gehe ich massiv einkaufen. Ich feiere es enorm, dass ich seit der Algarve überall Schwarzbrot bekomme. Mein Schlafplatz wird eine schöne Wiese neben einem Waldstück. Es riecht intensiv nach Gras, Blumen und Kräutern.
Am Abend probier ich mal das Kokosfett aus, das mir der Barbier geschenkt hat. Ich appliziere fast vollflächig. Nach einer halben Stunde wird mir klar, dass sich Kokosfett dadurch auszeichnet exakt überhaupt nicht einzuziehen. Ich sehe aus wie ein Fisch, alles klebt 🙂 Ich versuche mit meinem Handtuch zu retten, was zu retten ist.
Die Nacht ist feucht-kalt. Nächster Morgen. "Was, schon 11 Uhr? - Stimmt, grenzübertritt-induzierte Zeitumstellung." Ich tendiere dazu verwirrt zu sein, wenn Helligkeit und Schlafgewohnheiten von heut auf morgen nicht mehr zur Uhrzeit passen.
Ich mache das sehr nasse Zelt auf und werde eines Wagens ansichtig, der 50 m vor mir auf der Wiese steht. Irgendwann kommt der Besitzer zurück, ignoriert mich beim frühstücken und fährt weg. Ja, der Platz war sehr schön, aber eben auch feucht und gänzlich ohne Morgensonne bzw. kann man ja schon fast von Mittagssonne sprechen. Ich leere mein Zelt und trage es in einen sonnigen Bereich. Warten, wenden, warten. Dann gehts los. Noch 60 km bis Santiago.
Sehr hügelige Gegend, es geht ständig rauf und runter. Ich fühle mich landschaftlich wieder an den Schwarzwald erinnert.
Mein Powertrain am Fahrrad ist die letzten Tage stark degradiert. Die Kette bzw. die Ritzel haben einen Punkt erreicht, bei dem die Kette bei zu viel Drehmoment über die Ritzel springt. Bedeutet, ich muss auf jedenfall auf dem kleinsten Kettenblatt behutsam anfahren, sonst bekomm ich keinen Schub aufs Hinterrad. Ist wie eine Sicherheitskupplung, die bei einem eingestellten Moment öffnet. Heißt für mich kleine Gänge wählen, teilweise Zylinderabschaltung, Drehmoment raus und Drehzahl rauf.
Karfreitag. Am Sonntag geht's von Santiago ausgehend weiter. Es stellt sich die Frage, ob ich zwei Nächte in der Stadt bleibe oder ob ich vorher nochmal eine einschiebe. Ich entscheide mich für letzteres. In Santiago erwartet mich ein Campingplatz, den ich mir ähnlich wie den in Lissabon vorstelle. Preislich sind sie schon Mal ähnlich.
Das Wetter ist herrlich, sehr warm. Anders als sonst wünsche ich mir nicht wegen des Schweißes, sondern besonders wegen des Kokosfetts eine Dusche. Ich habe einen kühlen Fluss im Sinn und checke die Karte. In 16 km quere ich einen. Dort angekommen sehe ich, dass er in der Größe dem Neckar in Stuttgart ähnelt, Zugänge hätte ich auch erst suchen müssen. Ich schau nochmal auf die Karte: weiter nördlich gibt's was kleineres.
Ich komme an. 15 km vor Santiago. Sehr schön, genau so hab ich mir das vorgestellt! Eher bachartig, flacher Zugang, ich warte...niemand weit und breit.
Ich wasche meine Klamotten und mich. Das Wasser ist sehr frisch. Dazu hole ich kurz aus: wenn ein Franzose am Meer oder an einem See ins tiefer werdende Wasser läuft, kommt er irgendwann an einen kritischen Punkt: "Le PDC" (passage des couilles, couilles umgangssprachlich für Hoden). Wir sprechen also vom ersten skrotalen Wasserkontakt, dem zentralen Element beim Baden in kalten Gewässern 🤣 Auf Teneriffa war das echt immer in Ordnung, aber das hier ist wie ein Tritt zwischen die Beine.
Es hat sich gelohnt, ich bin sauber und entfettet, meine Klamotten hängen am Rad in der Sonne. Hier bleib ich heut Nacht, auch wenn das bedeutet heut Abend von Schnaken aufgefressen zu werden und morgen in einem klatschnassen Zelt aufzuwachen.
Ich bin noch nicht wieder angezogen, kommt ein Jugendlicher mit seiner cross-Maschine vorbei. Später ein Mann mit seinem Hund, dann zwei Frauen, dann zwei Reiter auf Pferden (die Pferde planschen im Wasser 🤗), dann nochmal zwei Frauen, ... Doch nicht so einsam hier. Wenigstens musste niemand mein schmerzverzerrtes Gesicht während der PDC miterleben 😅 Mal sehen, ob auch hier morgen früh ein Auto vor meinem Zelt parkt.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen