Der Fuchsschwanz

Hinter der Mauer, innerhalb des Fabrikgebäudes pulsiert bereits das Leben. Beim Zusammenpacken werden wir hier und da beäugt, aber keiner sagt was. Weiter geht's. Den ersten Regen warten wir in einem Cafe ab, wo wir jeweils einen Kaffee pro Stunde trinken und unsere Akkus laden. Unsere Fahrräder mit dem nassen Zeug stehen vor dem Haus. Die Trocknungspause machen wir am Nachmittag im Sonnenschein hinter einer Lackiererei. Nachdem wir uns weitere Hügel hochgekämpft haben, ruft Laras Körper nach einer Pause. 


Wir machen eine in einem kleinen Bergdorf. Bald ist klar, dass wir heute nicht weiterfahren können. Ich suche nach Schlafgelegenheiten in der Umgebung. Da fast alle Wiesen unter Wasser stehen bzw. matschig sind, entschließen wir uns eine Nacht im zum Glück vorhandenen Hotel zu nehmen. Lara duscht und pennt sofort weg. Ich dusche und nutze das WLAN.

Nächster Morgen. Ein sonniger Tag steht an, bevor es die kommenden zwei stark regnen soll. Lara meint, sie müsse mindestens eine weitere Nacht bleiben. Da ich uns im vorhergesagten Regen der Folgetage nicht viel fahren sehe und noch gut 2000 km bis Mitte Mai zu absolvieren habe, entschließe ich mich schweren Herzens weiter zu ziehen.

Wir verabschieden uns, Lara wird den kompletten Tag durchschlafen, ich steig in die Pedale. Bald hole ich Dave aus England ein. Ein Rentner mit beachtlicher Durchschnittsgeschwindigkeit. Wir kurbeln und unterhalten uns, machen gemeinsam Mittagspause in einer Bushaltestelle und tauschen Nummern als er am Nachmittag in seinem Etappenziel vor Santander abbiegt. Ich denke laut und lass ihn wissen, dass ich anstrebe in seinem Alter wie er drauf zu sein.
Die Sonne scheint, es ist ein herrlicher Tag. Die Landschaft ist atemberaubend, aber auch sehr fordernd. Etwas südlich von mir hat es scheinbar heftig geschneit. So viel wie seit 20 Jahren nicht in einem April. Auf den Bergen liegt reichlich Schnee.


Am nächsten Morgen soll es wieder regnen, also suche ich mir etwas mit Dach. Hinter einem alten Fabrikgebäude zwischen zwei Silos werde ich fündig. Das Gebäude scheint eine große Garage für landwirtschaftliche Geräte zu sein. Ich nutze zwei abgestellte Paletten als Unterlage und schlafe bald ein.


Nächster Morgen, vor sieben, ich werde von metallischen Geräuschen geweckt. Tatsächlich scheinen die abgestellten Traktoren heute früh genutzt zu werden. Ein Glück werden sie durch ein Seitentor rausgefahren (das grüne, rechts im Bild) und nicht durch das Tor, vor dem ich schlafe. Während also drin die Traktoren tuckern, baue ich mein Zelt ab. Mein Gehirn schläft noch, aber mein Körper kennt den drill. Kurz drauf sitze ich auf dem Rad. Sechszehn Stunden soll es heute regnen. Ein Glück sind es tatsächlich knapp drei. Dennoch ist es kalt und feucht. Letztes Jahr bin ich von Süden nach Santander gekommen, dieses Jahr komme ich von Westen der Küste entlang. (Lara, Achtung: spoiler Alarm! 😅) Bei der Gelegenheit muss ich feststellen, dass auch diese Region wunderschön, aber auch ein ununterbrochenes Auf und Ab ist. In absurdem Ausmaß! Ich fahre hoch, um einen Kreisel zu queren. Dann runter, um einen Fluss zu queren. Dann wieder hoch über eine 15 m lange Kuppe, dann wieder runter durch ein Dorf, ... und das geht so den kompletten Tag. Gut 1700 m Höhe werden es am Ende des Tages sein. Wenigstens hat sich der Regen in Bezug auf den Wetterbericht arg zurückgehalten.

Der Fuchsschwanz

Zum Schlafen biege ich in einen Wald ab, wo ich nach einem Bad in einem Bach ein nicht matschiges Fleckchen suche. Ich werde fündig. Ich bin richtig erschöpft. Esse Unmengen und bekomme von meinem "Sternengeschichten" podcast gerade noch das intro mit bevor ich ins Koma falle.



Nächster Morgen. Regentropfen auf dem Zelt wecken mich. Ich pack zusammen und steig wieder in die Pedale. Heute soll es 24 Stunden regnen. Die Nacht war bis zum Morgen zwar trocken, aber die Vorhersage für den restlichen Tag ist korrekt. Es regnet den ganzen Tag. Ich bin bald trotz Poncho von innen und unten nass und entschließe mich irgendwann dieses Wunderwerk der Aerodynamik auszuziehen 🤣 Denn der vorhergesagte Rückenwind ist tatsächlich Gegenwind. Nicht nur subjektiv, sondern auch die Flaggen sprechen eine klare Sprache 😭 Folglich bin ich bald so nass, als ob ich durch einen zwei Meter tiefen Fluss gefahren wäre. Ich mach ein paar kurze Bushaltestellenpausen, die ich frierend (max. neun Grad) zur Nahrungsaufnahme nutze, bevor es sobald wie möglich weiter geht. Wenn die in der Gegend eins nicht brauchen, dann ist das noch mehr Wasser.


Also Nordspanien-Zwischenbanz. Landschaft: gerne wieder! Mit dem Fahrrad im April: never again!

Ich suche wieder nach einem Dach. Das straßenferne Ende einer Autobahnbrücke kommt in Frage. Ich verwerfe den Gedanken aber wieder, da es bei genauerer Betrachtung uneben, nass und zu laut ist. Die wenigen offiziellen Unterkünfte, die ich sehe, sind geschlossen oder bereits im Verfallen begriffen. Oberhalb der Straße, übrigens seit Tagen die N-634, taucht ein leeres Fabrikgebäude auf. Großes Dach vor dem Gebäude. Die Einfahrt ist mit zwei Sperrmüll-Containern versperrt. Mit zwei meiner vier Radtaschen kann ich mein Rad geradeso vorbei bugsieren. Auf dem Gelände stelle ich fest, dass es eine offene Zufahrt in die riesige Halle gibt. Alarmanlagenschilder sollen Einbrecher abhalten. Ich frage mich, was in dieser großen und vor allem leeren Halle gestohlen werden sollte. Draußen prasselt der Regen. Große Pfützen stehen auf dem Boden. Nach ein paar Metern im Inneren der Einfahrt gibt es ein großes, offenes Schiebetor. Ich riskiere einen Blick in die dunkle Halle: leer. Ein Schritt, noch einer, ... Plötzlich schrillt eine ohrenbetäubend laute Alarmsirene auf. Ich nehme die zwei demontierten Taschen unter die Arme und schiebe mein Rad zurück zu den Containern, wo ich herkomme. Stehen jetzt gleich Securitas-Jungs mit Schlagstöcken oder die Polizei da? Unter einem gewissen Zeitdruck versuche ich mein Rad wieder ins Freie zu hieven. Kommt mir vor wie Tetris 9. Level mit nur wenig Platz nach oben 😅 Mit einer Heben-Drehen-Kombo schaffe ich es durch das "Tor". Ich steh wieder auf der Straße, hänge die Taschen ein, lasse den Rucksack auf dem Rücken und bewege mich zügig zurück zur Straße. Das ging nochmal gut. Hab mich schon lang nicht mehr so lebendig gefühlt 🙂

Das Wasser steht in meinen Schuhen und die Suche geht weiter. Wenige km später steht ein verlassenes Restau direkt neben der Straße. Zur Abwechslung mal kein Tor oder Zaun davor. Auf der Rückseite gibt es ein Vordach, unter dem es zwar auch nass ist, mich aber vor dem Regen schützt. Mir ist alles egal. Ich schlage das Zelt auf, wringe meine Handschuhe aus und trockne mich ab, bevor ich meine "Abendgarderobe" anlege.
Der Regen wird nochmal stärker. Ich beobachte den die anschwellende Fontäne, die aus dem offenen Dachrinnenrohr kommt. Die nassen Klamotten verteile ich auf dem Rad und den vergitterten Fenstern. Da es heute ähnlich hügelig war wie gestern, nehme ich massiv Nahrung zu mir und gehe bald schlafen.

Der nächste Morgen


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