Trade-Off
Die Sprinkler hatten keinen Einsatz. Reflexartig fasse ich morgens beim Öffnen des Zelts die Plane an, um die Feuchtigkeit zu testen und freu mich, wenn sie wieder trocken ist.
Zusammenpacken und los. Ich bin etwas von meiner eigentlichen Tour abgekommen bin nun auf kleineren, schlechteren Straßen unterwegs. Teils solche, auf denen man wegen des Asphalts bergab kaum schneller fahren kann, als bergauf. Teils auf einem Radweg mit dem Belag einer Baustellenausfahrt.
Ich such meinen Weg zurück auf große Straßen. Schöner Nebeneffekt der kleinen war eine sehr schöne, abwechslungsreiche Landschaft. Das ist immer so ein bisschen der Trade-Off zwischen etwas sehen und vernünftig vorankommen. Denn so schön das alles ist, ich hab schon auch das Ziel vor Augen.
Dabei wollte ich mir genau das eigentlich abgewöhnen: anstatt den Moment zu erleben, gedanklich schon etwas voraus zu sein. Ist ja eigentlich Unfug, der Moment ist alles, was tatsächlich passiert und wirklich ist. Alles andere sind nur Gedanken an die Vergangenheit oder Projektionen in die Zukunft. Passiert nur im Kopf. Und oftmals sind bei mir letztere oftmals etwas zu düster, im Vergleich zu dem, was dann tatsächlich ist.
Klar, bei so einer ausladenden Aktion mit so einem konkreten Ziel, auf das man täglich von Sonnenauf- bis Untergang hinarbeitet, ist es schon verlockend nach vorne zu schauen. Wann werd ich wo sein? Wie wird es dort sein? Was wird bis dahin passieren? Alles Vorstellungen. Das einzige, was gerade passiert, ist die aktuelle Kurbelumdrehung. Und da will ich sein. Fällt mir nicht leicht. Aber ich arbeite dran. Ist noch ein langer Weg, wie gleich klar werden wird.
Diese Fahrt ist körperlich fordernd. Aber die sportliche Dimension ist überhaupt nicht entscheidend. Das Spannende ist das, was im Kopf passiert. Der geht irgendwie auf, die Gedanken werden von der Leine gelassen. Manchmal komm ich beim Fahren wie zu mir und bin plötzlich wieder da, im Jetzt. Dann erwisch ich mich oft dabei sowas wie "Jungejunge, wo warst Du eigentlich grad unterwegs?!" zu denken 😄
Die Tage rennen, gefühlt alle Handvoll Stunden bau ich das Zelt auf. Jeder Eindruck ist ein erster, alles ist neu: jede Situation, jede Straße, jedes Gesicht. Die Tage sind wie gestaucht und gleichzeitig ist der Blick in die Vergangenheit wie gedehnt. Dass ich mal in Frankreich war kommt mir wie Monate her vor. Manchmal muss ich überlegen, wie/wo ich vor zwei Nächten geschlafen hab.
Ich komm zurück auf meine große Straße. Herrlich, guter Asphalt unter den Rädern. Kurz drauf ist sie nur noch auf der Karte groß. (A map is not the territory - winkwink 🙂). Sie wird zur schmalen, kurvigen Landstraße ohne Seitenstreifen. Bloß gut kommt nur ca. all Minute ein Auto. Die anderen sind sehr wahrscheinlich auf der benachbarten Autobahn unterwegs.
Ich fahre durch das Nichts. Ich weiß gar nicht, wo ich Pause machen soll, weil da nichts ist, was sich aus der Gesamtmasse abhebt. Irgendwas, was man benennen kann, "bei dem xy halt ich mal an". Also fahr ich bis eine Tanke kommt. Ich esse und füll meine Reifen auf. Der hintere hatte auffällig wenig Druck.
Als ob ich's geahnt hätte geht's direkt danach 12 km bergauf. Kleiner Vorgeschmack auf Teneriffa, schätze ich. Ich kämpf mich hoch, öfter auch mal im Ersten. Das hab ich nicht kommen sehen! Keine Frage, das Gebirge war traumhaft, aber da sind wir wieder beim Trade-Off.
Am Gipfel zieh ich mich wieder an und lass rollen. Vor Etappenende geht es dann nochmal etwas rauf bevor ich dann im folgenden Tal das Zelt aufschlage.
Starker Text. Regt zum Denken an, mich zumindest 😉
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