Podersam

Von wegen Waldenserdörfer, meine jüngere Familiengeschichte führt mich in die Tschechische Republik. Mein Vater ist Anfang 1942 in Podersam, im Sudetenland, heute Podborany geboren. Von dieser Tatsache hab ich mit Ende 20 eher beiläufig erfahren. Bis dahin war ich der Meinung, mein Vater sei Bremer. (Aus dem Grund ging auch eine meiner Schnellläufer-Touren nach Bremen) Meinen Schwestern ging es ganz ähnlich. Podersam auszuklammern muss Methode gehabt haben, denn auch seine Freunde kennen keine Details. Zufall? Oder gab es einen Grund nicht darüber zu sprechen?

Ich schaue mir Dokus und lerne eine Menge über diesen Teil der deutschen Geschichte. Die Erzählungen der Zeitzeugen sind teils schaurig. Ich frage mich, ob ich im Geschichtsunterricht in weiten Teilen geschlafen hab oder ob der Lehrplan hier nur ein Kratzen an der Oberfläche vorsieht.

Jedenfalls wollte ich den Ort mal kennenlernen, an dem mein Vater die ersten drei Jahre seines Lebens verbracht hat, bevor seine Famile nach Bremen gezogen ist bzw. vertrieben wurde.

Die letzte Etappe ist richtig zünftig. Morgens im Zelt muss ich mich selbst motivieren die verbleibenden 110 km in Angriff zu nehmen. Ich spüre die drei letzten Tage in den Beinen. Obwohl mein Ziel ca. 250 m tiefer liegt, muss ich auf dem Weg dorthin fast 1300 m erklimmen. Das Höhenprofil gleicht einem Sägezahn. Auf dem Höhepunkt der Tour mache ich eine Pause im Schatten.

 

Nähe Grenzübergang

 
Picknickplatz

Im Netz finde ich eine Unterkunft 30 km südlich von Podborany, keine wirkliche Option. Immerhin scheint es einen Campingplatz zu geben - mit angrenzendem Freibad.
 

Die letzten fünfzig Kilometer sind sehr zäh. Stetiges Steigen und Fallen, die Sonne brennt, der Straßenbelag füllt das ganze Spektrum zwischen hervorragend und katastrophal.
Endlich angekommen frage ich am Freibadkassenhäuschen, wo der Campingplatz ist. Die Dame deutet auf eine unscheinbare Wiese. Ahso. Rezeption? Keine. Ich stelle mein Rad auf die Wiese. Das Freibad kann man regulär entlang des Kassenhäuschens betreten oder alternativ durch eine Art Gartentörchen einige Meter weiter. Am Kiosk frage ich, wo ich für's Campen bezahlen kann. Die beiden jungen Frauen sprechen etwas englisch und erklären mir, dass ihr Boss abends vorbei komme um das Geld der Camper einzusammeln. Ich dusche und ziehe zur Entspannung ein paar Bahnen im erfrischenden Nass.

Da es am Kiosk keine Pizza und sonst nichts dergleichen gibt, nehme ich Pommes. Und weil ich keine Kronen bei mir habe, darf ich ausnahmsweise mit Euro bezahlen. Ein einzelner geht über den Ladentisch.
Ich setze mich auf eine Bierbank und genieße die warme "Mahlzeit".
Kurz darauf setzt sich ein großer, fülliger Herr zu mir und sagt zur Begrüßung "my English is crazy". Aha, die Campingplatzverwaltung. Ich frage ihn, ob ich bleiben kann. Eine Person, ein Zelt? Ja. Er fängt an zu schreiben: 140 Kronen (ca. 5,5€). Zwei Nächte? 280 - Freibadeintritt inklusive. Ich bezahle (wieder mit Euro 🙈) und denke dabei an die restlichen Kronen vom letzten Prag-Besuch, die seit Jahren nutzlos zu Hause rumliegen und aktuell hervorragend zum Einsatz hätten kommen können.
Ich esse auf, laufe rüber zur Campingwiese und schlage mein Zelt auf. Außer mir stehen noch zwei weitere Wohnmobile auf dem Platz.
Es ist ruhig, ich lese. Zum Einbruch der Dunkelheit schrillt für einige Minuten laute Musik aus Richtung eines der Wohnmobile. Ich denke mir nichts weiter und lese mein Buch. Die Musik verstummt für einige Zeit und kehrt dann zurück. Dieses Mal bleibt sie. Ich versuche gedanklich herauszufinden, ob die Leute grad selbst am mixen sind oder warum ständig Geräusche in das immerselbe Lied eingespielt werden. Der Blick aus dem Zelt klärt die Sache schnell auf: die Außenwand des Gebäudes im Freibad ist nachts gleichzeitig ein outdoor-Kino. Muss wahrlich ein furchtbarer Film sein 😂 Genre Action, vielleicht eine Art Action-Musical mit aufdringlichen Motorengeräuschen plus quietschenden Reifen anstelle eines Dialogs und dazu immer wieder dieser aufpeitschende Themesong.
Trotz des Getöses (oder wegen seines hypnotischen Charakters) kann ich bald einschlafen. Morgen geh ich auf's Rathaus. Mal sehen, ob ich etwas herausfinden kann.



Kommentare

  1. Also unser Stellplatz kostet aktuell 50,- Schwimmbad auch inkl. :-) aber ohne Kino:-)))

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